Treffpunkt Deutsch 3, Leseheft

17 Wernher der Gärtner Meier Helmbrecht Die mittelhochdeutsche Versnovelle „(Meier) Helmbrecht“, verfasst von einem urkundlich nicht belegten Dichter Wernher dem Gärtner, ist vermutlich zwischen 1250 und 1280 im bayerisch-österreichischen Raum entstanden. Helmbrecht, der Sohn eines Meiers 1 , will nicht länger in seinem Stand verbleiben und harte Land­ arbeit verrichten, sondern Ritter werden. Entgegen den Warnungen des Vaters, der ihm ein schlimmes Ende prophezeit, lässt er sich schließlich sein Erbe in Form einer ritterlichen Ausrüstung auszahlen und zieht zu einem Burgherrn, der ihn in seine berittene Truppe aufnimmt. Deren „Kriegsführung“ besteht in Morden, Rauben und Brennen. Helmbrecht führt ein Leben in Saus und Braus, vor allem auf Kosten der Landbevölkerung. Nach einem Jahr stattet Helmbrecht seiner Familie einen Besuch ab, um mit seinem sozialen „Auf- stieg“ zu prahlen. Bei überreicher Bewirtung durch den Vater erzählt er vom „Hofleben“, zu dem er – trotz der eindringlichen Versuche des Vaters, ihn zurückzuhalten – wieder zurückkehrt, wobei er seine Schwester zum Mitkommen überredet. Helmbrecht verheiratet sie mit seinem Spießgesellen Lämmer- schling. Noch während der Hochzeit werden sie von einem Richter mit vier Schergen 2 überwältigt. Die Raubritter werden verurteilt und gehängt, bis auf Helmbrecht, den man blendet und verstümmelt. Nach einem Jahr in der Fremde sucht er bei seinem Vater Unterschlupf, der den Geächteten 3 voller Hohn 4 abweist. Von Bauern, die er einst beraubt und gequält hatte, wird er schließlich erhängt. 1 Schergen = Bewaffnete   2 Meier = Pächter, Gutsverwalter   3 geächtet = aus der Gemeinschaft ausgeschlossen 4  Spott   5 Büttel = „Polizist“ im Mittelalter Schließlich ritt er auf eine Burg. Weil der Burgherr gerade in Fehde lag, war es ihm hoch willkommen, die bei sich zu behalten, die mutig im Sattel saßen und sich tapfer mit Gegnern herumschlugen. Dort trat der Bursche in Dienst. Aufs Beutemachen verstand er sich so großartig, daß er alles, was ein anderer verschmähte, in seine Satteltasche stopfte. Er raffte ohne Ausnahme alles zusammen: keine Beute war ihm zu gering; natürlich war ihm auch nichts zu schwer. Ob struppig oder glatt, ob krumm oder gerade, alles raffte Helmbrecht zusammen, der Sohn des Pächters Helmbrecht. Er ließ niemandem auch nur einen Pappenstiel, er raubte Kettenpanzer und Schwerter, er raubte Mäntel und Röcke, er raubte Ziegen, er raubte Böcke, er raubte Schafe, er raubte Widder – das hat er später mit Haut und Haar büßen müssen. Rock und Hemd riß er den Frauen vom Leibe, den Pelz und den Mantel – als ihn der Büttel 5 kirre machte, hätte er am liebsten ungeschehen gemacht, daß er Frauen jemals etwas geraubt hatte: das ist die reine Wahrheit! Der Sohn antwortete: „Meine Kameraden Lämmerschling und Schluckenwidder, die beiden haben mir das beigebracht. Ich nenne dir auch noch die andern: Höllensack und Rüttlenkasten, das sind meine Lehrer, dazu Kühefresser und Zerschlagenkelch. Sieh nur, Herr Vater, was für Gesellen in unserer Schar sind. Diese sechs habe ich dir aufgezählt. Mein Kamerad Wolfsrachen, der läßt, wie lieb ihm auch alle seine Onkel und Tanten sind, 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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