Treffpunkt Deutsch 2, Leseheft

Umgang mit Texten List setzt sich durch – Texte verstehen und Ideen umsetzen lernen Nacherzählt von Paul Hühnerfeld Der Kampf um Troja – Das hölzerne Pferd Zehn Jahre lang hatten die Griechen nun schon um Tore und Mauern von Troja ge- kämpft und noch immer blieb ihnen der Er- folg versagt. […] Da rief der Seher 1 Kalchas die vornehmsten Danaerhelden 2 zusammen und sagte: „Hört auf mit dem sinnlosen Kampf, so kommt ihr nicht zum Ziel. Ihr müsst euch schon etwas anderes einfallen lassen. Hört an, was ich ges- tern gesehen habe: Ein Habicht jagte eine Tau- be. Sie aber schlüpfte in eine Felsspalte. Lange saß der Habicht davor, doch das Tierlein kam nicht heraus. Da verbarg sich der Habicht im nahen Gebüsch. Und siehe, das dumme Täub- chen verließ sein Versteck und wurde augen- blicklich von dem Räuber geschlagen. Wir sollten uns diesen Habicht zum Vorbild neh- men und Troja nicht länger mit Gewalt be- rennen, sondern es einmal mit einer List ver- suchen.“ So viel sie auch darüber nachdachten, die Helden konnten mit diesem Rat nichts anfan- gen; ihnen fiel nichts ein. Schließlich hatte Odysseus eine Idee. „Lasst uns ein Pferd zimmern“, rief er, […] „ein riesengroßes Pferd aus Holz. In seinem Bauch müssen sich unsere besten Helden ver- bergen. Die übrigen aber, das ganze Heer soll sich zu Schiff nach der Insel Tenedos zurück- ziehen. Dann werden die Trojaner aus ihrer Stadt hervorkommen, weil sie glauben, die Griechen wären in ihre Heimat abgezogen …“ „Schon gut“, rief einer, „aber was nützt uns das? Wozu das Pferd? Haben wir es mühsam gebaut, so muss es uns auch nützlich sein!“ Doch Odysseus hatte seinen Plan gut durch- dacht. Ein unbekannter, aber mutiger Mann sollte zurückbleiben und den Trojanern er- zählen, das hölzerne Pferd sei eine Opfergabe für Athene. Die grimmige Feindin der Troer solle damit versöhnt werden, damit sie den Griechen wegen ihres Rückzugs nicht zürne und ihnen eine gute Heimfahrt gönne. Er selbst, so solle der Mann sagen, sei geflohen, weil er als Blutopfer ausgewählt worden sei, um die Göttin günstig zu stimmen. „Nicht schlecht“, rief ein anderer, „aber was soll’s? Da steht nun das Pferd, wo früher ein ganzes Heer gelagert hat. Was ist damit ge- wonnen?“ Odysseus war um die Antwort nicht verlegen. „Nun“, sagte er, „unser Mann muss das Misstrauen der Trojaner überwinden. Ist er selbst einmal in der Stadt, dann muss er die Trojaner dazu bringen, dass sie das hölzerne Pferd in die Stadt holen. Schafft er das, so ha- ben wir gewonnen. In der Nacht, wenn alles schläft, kommen die Helden aus dem Bauch des Pferdes hervor, legen Feuer in der Stadt und geben uns mit der Fackel ein Zeichen, dass wir von Tenedos absegeln und Troja er- stürmen!“ Da zollten alle dem listenreichen Odysseus Beifall. Der Seher Kalchas fand die Vogelzeichen günstig für das Vorhaben und eilig ging man an die Vorbereitungen […] und nach drei Tagen stand das mächtige hölzerne Pferd fertig da. Und so natürlich war es, wenn auch riesengroß, dass ein Witzbold ausrief: „Gleich fängt es an zu wiehern!“ Staunend um- standen die Griechen das Kunstwerk. Da rief Odysseus: „Jetzt gilt es, ihr Helden! Nun wird sich zeigen, wer Mut hat. Denn es gehört mehr Mut dazu, in den Bauch dieses Pferdes zu krie- chen, als in offener Schlacht dem Tod zu trot- zen. Wer wagt es mit mir?“ Einen Augenblick blieb es still. Schon wollte der greise Nestor als Erster in das 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 1  Prophet; jemand, der in die Zukunft sieht 2  Bezeichnung für die Griechen 44 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=