Treffpunkt Deutsch 2, Leseheft

James Thurbe r Der Königsfischer und der Fliegenschnäpper Eine Fliegenschnäpperin, die in der schönen Jahreszeit zwei Mal gebrütet hatte und überaus stolz auf ihre Kinder war, stellte zuerst mit Schrecken, dann aber mit Freude fest, dass einer ihrer Söhne von der zweiten Brut sich weigerte, dem Beispiel seiner Geschwister zu folgen und das Nest zu verlassen. „Ich habe einen ganz besonderen Fliegenschnäpper in die Welt gesetzt“, sagte die Mutter entzückt, „er hat nichts mit den anderen Fliegenschnäppern gemein, und bestimmt wird er ein großer Sänger, größer noch als die Nachtigall.“ Sie ließ ihrem Sohn Gesangstunden geben, zuerst von einer Nachtigall, dann von einer Lerche und schließlich von einer Spottdrossel, aber trotz aller Bemühungen lernte der junge Fliegenschnäpper kein anderes Lied als „Pi-wii, Pi-wii“. Daraufhin wandte sich die Mutter an Dr. Königsfischer, einen Vogelpsychologen, der den Kleinen sehr sorgfältig untersuchte. „Dieser Fliegenschnäpper ist ein Fliegenschnäpper wie jeder andere auch“, sagte er zu der Mutter. „Und deshalb wird er nie etwas anderes singen als Pi-wii, Pi-wii“. Die ehrgeizige Mutter war sicher, dass Dr. Königsfischer eine falsche Diagnose gestellt hatte. „Vielleicht wird er kein großer Sänger, aber zu irgendetwas Großem ist er zweifellos berufen“, erklärte sie. „Warten Sie’s nur ab.“ „Ja, das werde ich tun“, sagte Dr. Königs- fischer und wartete. Aber nichts geschah. Der Fliegenschnäpper blieb auch weiterhin ein Fliegenschnäpper. Wie seine Artgenossen sang er „Pi-wii, Pi-wii“ und das war alles. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Schreibe die Lehre zu dieser modernen Fabel auf. Übertragt diese Fabel in Situationen aus eurem Leben, die der Bedeutung dieser Fabel ent- sprechen. Wähle eine Fabel aus und schreibe sie in eine „Menschengeschichte“ um. N 3  4  N 5  25 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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