Treffpunkt Deutsch 2, Leseheft

Wie sie so auf dem Marktplatz herumstan- den, kam ein Landstreicher des Weges und fragte, wo es denn fehle. Sie erzählten ihm ihr Missgeschick und dass sie nicht ein noch aus wüssten. Er merkte, dass es mit ihrer Gescheit- heit nicht weit her sein konnte, und sagte: „Kein Wunder, dass es in eurem Rathaus fins- ter ist! Ihr müsst das Dach abdecken!“ Sie wa- ren sehr verblüfft. Und der Schweinehirt meinte: „Wenn dein Rat gut sein sollte, darfst du bei uns in Schilda bleiben, solange du willst.“ – „Jawohl“, fügte der Ochsenwirt hin- zu, „und essen und trinken darfst du bei mir umsonst!“ […] Tags darauf deckten die Schildbürger das Rathausdach ab, und – o Wunder! – mit einem Male war es im Rathaus sonnenhell! Jetzt konnten sie endlich ihre Ratssitzungen abhal- ten, Schreibarbeiten erledigen, Gemeindewie- sen verpachten, Steuern einkassieren und alles Übrige besorgen, was während der Finsternis im Rathaus liegen geblieben war. Da es damals Sommer war und ein trockener Sommer obendrein, störte es nicht weiter, dass sie kein Dach überm Kopf hatten. Und der Landstrei- cher lebte auf ihre Kosten im Gasthaus, tafelte mittags und abends, was das Zeug hielt, und kriegte einen Bauch. Das ging lange Zeit gut. Bis im Herbst graue Wolken am Himmel heraufzogen und ein Platzregen einsetzte. Es hagelte sogar. Und die Schildbürger, die gerade in ihrem Rathaus ohne Dach saßen, wurden bis auf die Haut nass. […] Als sie am nächsten Tag mit warmen Tü- chern um den Hals und mit roten, geschwolle- nen Nasen zum Ochsenwirt kamen, um den Landstreicher zu fragen, was sie nun tun soll- ten, war er verschwunden. Da sie nun nieman- den hatten, der ihnen hätte helfen können, versuchten sie es noch ein paar Wochen mit dem Rathaus ohne Dach. Als es dann aber gar zu schneien begann und sie wie die Schnee- männer am Rathaustisch hockten, meinte der Schweinehirt: „Liebe Mitschildbürger, so geht es nicht weiter. Ich beantrage, dass wir, min- destens für die nasse Jahreszeit, das Dach wie- der in Ordnung bringen.“ Sein Antrag wurde von allen, die sich erkältet hatten, angenom- men. Es waren die meisten. Und so deckten sie den Dachstuhl, wie vorher, mit Ziegeln. Nun war es im Rathaus freilich wieder stockfinster. Doch diesmal wussten sich die Schildbürger zu helfen. Sie steckten sich einen brennenden Holzspan an den Hut. Und wenn es auch nicht sehr hell war, so konnten sie ein- ander doch wenigstens ungefähr erkennen. Leider begannen die Späne nach einer Viertel- stunde zu flackern. Nach einer halben Stunde roch es nach angebrannten Hüten. Und schon saßen die Männer, wie vor Monaten, im Dun- keln. Es war sehr still geworden. Sie schwiegen vor lauter Erbitterung. Plötzlich rief der Schus- ter aufgeregt: „Da! Ein Lichtstrahl!“ Tatsäch- lich! Die Mauer hatte einen Riss bekommen, und durch ihn tanzte ein Streifen Sonnenlicht! Wie gebannt starrten sie auf den goldenen Gruß von draußen. „O wir Esel!“, brüllte da der Schweinehirt. „Wir haben ja die Fenster vergessen!“ […] So war es. Sie hatten tatsächlich die Fenster vergessen! Sie stürzten nach Hause, holten Spitzhacken, Winkelmaß und Wasserwaage, und noch am Abend waren die ersten Fenster fix und fertig. So wurden die Schildbürger zwar nicht wegen ihres dreieckigen Rathauses, sondern vielmehr wegen ihrer vergessenen Fenster berühmt. Es dauerte nicht lange, so kamen auch schon die ersten Reisenden nach Schilda, bestaunten die Einwohner, übernach- teten und ließen überhaupt ein gutes Stück Geld in der Stadt. […] 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 158 160 Kläre, welche Funktion der Schweinehirt, der Schuster, der Schneider und der Hufschmied haben. Markiere dazu die Textstellen, an denen diese vier Personen Entscheidendes für den Fortgang der Geschichte beitragen. Finde alle Möglichkeiten, wie die Schildbürger Licht ins Rathaus bringen. Schreibe in dein Heft. 1  2  N 19 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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