Treffpunkt Deutsch 2, Sprachbuch

Dahinter erstreckte sich die Allee, der ich schon oft gefolgt war. Unter den Bäumen be- wunderte ich den Teppich zarter Farben, den die Leberblümchen, Himmelsschlüssel und An- emonen bildeten. Als ich das Lindengewölbe durchschritten hatte, bemerkte ich sogleich den grünen Rasen und die Freitreppe, die zu der hellen, eichenen Tür hinaufführte. Ich stieg aus meinemWagen, lief eilig die Stufen hinauf und klingelte. Ich fürchtete sehr, dass niemand kommen würde, jedoch fast im gleichen Augenblick öff- nete ein Diener. Er blickte traurig drein, war sehr alt und trug einen schwarzen Rock. Er schien sehr erstaunt mich zu sehen und be- trachtete mich aufmerksam, ohne zu sprechen. „Ich werde Ihnen jetzt“, sagte ich, „eine recht seltsame Bitte vortragen. Ich kenne die Eigentü- mer dieses Hauses nicht, aber ich wäre glücklich, wenn Sie mir gestatten würden es anzusehen.“ „Das Schloss“, sprach er wie bedauernd, „ist zu vermieten, gnädige Frau, und ich bin hier, um es bei Besichtigungen zu zeigen.“ „Man kann es mieten?“, sagte ich. „Welch unerhoffter Zufall … Warum bewohnen denn die Besitzer nicht selbst ein so schönes Haus?“ „Sie haben es bewohnt, Madame, und sie ha- ben es verlassen, seitdem es hier imHause spukt.“ „Es spukt hier?“, fragte ich. Das sollte mich nicht abhalten. „Ich wusste nicht, dass man in Frankreich auf dem Lande noch an Geister glaubt.“ „Auch ich nicht, Madame“, sprach er ernst, „wenn ich nicht selber dem Gespenst, das meine Herrschaft vertrieb, so oft des Nachts im Park begegnet wäre.“ „Unglaublich!“, meinte ich und versuchte zu lächeln. „Nicht ganz so unglaublich“, sagte der Greis in vorwurfsvollem Tone, „dass gerade Sie darüber lachen dürften, denn das Gespenst, Madame, waren Sie.“ 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 Lies die Geschichte und versuche dem Erzählplan auf die Spur zu kommen, indem du den Text in Erzählschritte unterteilst. Gib den einzelnen Abschnitten Überschriften. Vergleiche deine Lösung mit der deines Sitznachbarn oder deiner Sitznachbarin. Besprecht zu zweit: Welche Stimmung vermittelt der Text? An welchen Stellen ist er besonders spannend? Schreibe die Geschichte nun neu aus der Sicht einer unbeteiligten Person. Mache aus der Ich- eine Sie-Form, kürze die Geschichte und achte dabei darauf, dass auch deine Version spannend bleibt. B 1  B 2  N 3  45 Durch Nacht und Nebel Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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