Sexl Physik 8, Schulbuch

4.3 Das frühe Universum Was geschah in jener Zeit, über die uns die Hintergrundstrahlung keine Auskunft gibt? Bedingungen, wie sie am Beginn des Universums geherrscht haben, können wir heute bei Experimenten in Beschleunigern simulieren. Dabei werden Teilchen auf Energien bis zu einigen tausend GeV beschleunigt. Die kinetische Energie die- ser Teilchen entspricht einer Temperatur von 10 16  K . Damit werden Reaktionen zwi- schen Teilchen möglich, wie sie 10 −12 s nach dem Urknall aufgetreten sind. 1980 schlug A lan G uth ein Modell vor, das sich einerseits auf die bereits in der Teilchen- physik besprochene Große Vereinheitlichte Theorie (engl. Grand Unified Theory, GUT) stützt, andererseits auf die Idee, dass sich das Universum unmittelbar nach seiner Entstehung mit ungeheurer Geschwindigkeit aufblähte. Dieses Inflations- modell wurde seither immer wieder modifiziert und in Frage gestellt und ist der- zeit experimentell nicht direkt überprüfbar. Dennoch stellt es einen der meistver- sprechenden Ansätze dar und soll deshalb hier beschrieben werden. Es ist möglich, bis 10 −43 s nach dem Urknall zurückzurechnen. Erst seit diesem Zeit- punkt, der Planckzeit , kann von Raum und Zeit gesprochen werden. Die Frage, was vorher war, lässt sich nicht sinnvoll beantworten, da infolge der geringen Ausdehnung auch die Gravitation den Gesetzen der Quantenmechanik unterlag. Die Temperaturen waren zu diesem Zeitpunkt so hoch ( T > 10 28  K ), dass gemäß der GUT noch keine Unterschiede zwischen den Leptonen und den Quarks bestanden und auch zwischen der elektroschwachen und der starken Wechselwirkung noch nicht zu unterscheiden war. Im GUT-Modell setzt die Inflation nach 10 −35 s ein. Alle 10 −35 s verdoppelt sich die Größe des Universums. Nach 10 −32 s hat sich das Gebiet, das dem heute sichtbaren Universum entspricht, um mehr als 50 Zehnerpotenzen ausgedehnt, d. h. von der Größe eines Elementarteilchens auf Fußball Größe. Am Ende der Inflationsphase haben sich starke und elektroschwache Wechselwirkung getrennt. Es entstehen Quarks und Leptonen, die Bausteine der Materie. Die Leptonen unterliegen nur mehr der elektroschwachen Wechselwirkung. Die Expansion verlangsamt sich. So- bald die Temperatur unter 10 15  K sinkt, können W- und Z-Bosonen nicht mehr frei erzeugt werden. Aus der elektroschwachen Wechselwirkung entwickeln sich die schwache und die elektromagnetische Wechselwirkung. Zusammen mit der Gra- vitation existieren nun die heute bekannten vier Wechselwirkungen. Temperaturen T ≈ 10 15  K entsprechen Energien E ≈ 100 GeV , wie sie in derzeitigen Beschleunigern erreicht werden. Im CERN versucht man, die Prozesse, die zu diesem Zeitpunkt herrschten, experimentell nach zu vollziehen 10 Sekunden -52 Urknall 10 Sekunden -43 10 Sekunden -35 1 Sekunde 500 000 Jahre 1 Million Jahre 1 Milliarde Jahre 9 Milliarden Jahre 100 Millionen Jahre Radius des Universums Unser Sonnensystem entsteht. Galaxien entstehen. Die ersten Sterne entstehen. Das Universum wird durchsichtig. Die Materie entkoppelt sich von der Strahlung, die heute als kosmische Hintergrundstrahlung zu beobachten ist. Die elektromagnetische und die schwache Wechselwirkung trennen sich. Aus Quarks bilden sich Protonen. Ein Teil der Protonen und Elektronen vereinigt sich zu Neutronen. Durch Nukleosynthese bilden sich Helium und andere leichte Elemente. Die starke Kraft trennt sich von der schwachen und der elektro- magnetischen Wechselwirkung. Die Inflation endet. Das Universum besteht aus einer Suppe heißer Elektronen und Quarks. Die Gravitation trennt sich von den anderen Kräften. Ära der Grand Unified Theory (GUT). Die Inflation beginnt. Das Gebiet, aus dem unser heute beobachtbares Universum entstanden ist, dehnt sich bis auf die Größe einer Orange aus. Alle Kräfte – Gravitation sowie starke, schwache und elektro- magnetischeWechselwirkung – sind vereinigt. Ära der Quanten- gravitation. Zeit 94.3 Entwicklungsschritte des Universums nach den heutigen Modellvorstellungen offenes Universum geschlossenes Universum flaches Universum 94.1 Die Krümmung des Universums (s. S. 33) hängt von seiner mittleren Massendichte ab. Ein offenes Universum expandiert immer schneller, ein geschlossenes Universum wird auf Grund seiner Masse kollabieren, die Expan- sionsgeschwindigkeit eines flachen Univer- sums nähert sich nach unendlich langer Zeit gegen Null. 94.2 Die ersten sichtbaren Galaxien des Universums, 1Mrd. Jahre nach dem Urknall (European Southern Observatory ESO)  94 AKTUELLE FORSCHUNG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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