Sexl Physik 8, Schulbuch

Viel schwieriger ist es, die Kernfusion unter Laboratoriumsbedingungen kontrol- liert durchzuführen. Dazu ist es erforderlich, Deuterium und Tritium auf 10 8  K zu erhitzen. Bei dieser Temperatur werden die Elektronen durch Stöße von den Atom- kernen losgelöst. Es entsteht ein Plasma aus Kernen und Elektronen. Es ist nicht möglich, dieses Plasma in einem Behälter aufzubewahren, da es die Gefäßwände zerstören oder an den massiven Gefäßwänden rasch abkühlen würde. Um das Plasma von den Wänden fernzuhalten, nutzt man den Pinch-Effekt : Da sich parallele Ströme anziehen, schnürt sich ein stromdurchflossenes Plasma in einem zylindrischen Rohr von selbst ein. Je größer der Strom im Plasma ist, desto stärker ist auch die Einschnürung der Plasmasäule, die sich schließlich von den Gefäßwänden ablöst. Der starke Strom heizt das Plasma gleichzeitig auf und führt zu den notwendigen hohen Temperaturen. Die bei der Fusion freiwerdende Energie wird durch elektromagnetische Strahlung und durch Neutronen auf die Wandau- skleidung übertragen, von wo sie über Wärmetauscher abgeführt und genutzt wer- den kann. Welche Werkstoffe der Belastung bei einem Dauerbetrieb standhalten, ist zurzeit noch nicht geklärt. Bei einem homogenen Magnetfeld würde das Plasma entlang der Feldlinien ent- weichen. Zur Lösung dieses Problems wurden verschiedene Magnetfeldkonfigura- tionen entwickelt: Die vielversprechendste ist der von sowjetischen Physikern ent- wickelte TOKAMAK (  52.2 ). Dabei wird durch eine autoreifenförmige Anordnung von stromdurchflossenen Spulen ein ringförmiges (toroidales) Magnetfeld erzeugt. Das im Magnetfeld eingeschlossene Plasma bildet die Sekundärwicklung eines Transformators. Bei einer Änderung des Magnetflusses wird im Plasma ein Ringstrom induziert. Eines der größten technischen Probleme des TOKAMAK ist, dass der Ringstrom im Plasma nur so lange aufrechterhalten werden kann, wie der magnetische Fluss im Transformator ansteigt. Bei Umpolung bricht der Plas- mastrom zusammen. Anlagen zur Kernfusion wurden bereits in zahlreichen Varianten erprobt. Lang- fristiges Ziel ist die Gewinnung elektrischer Energie. Ein erster Erfolg gelang im Rahmen des von 14 europäischen Staaten mit 132 Millionen Dollar pro Jahr finan- zierten JET-Projekts ( Joint European Torus ). Der Fusionsreaktor dieses Projekts be- findet sich in Culham, England, und arbeitet nach dem TOKAMAK-Prinzip. 1991 gelang es zum ersten Mal, ein Plasma aus Deuterium und Tritium zum „Brennen“ zu bringen (  52.3 ). Die bei dieser Reaktion freiwerdende Energie erzeugte zwei Sekunden lang Tem- peraturen von 10 8  K und ermöglichte damit weitere Fusionsprozesse. Während die- ser kurzen Zeitspanne wurde eine Leistung von 1,7MW erzielt. Trotz dieses Erfolgs ist es nicht gesichert, dass es je zu einer kommerziellen Nutzung der Fusionsener- gie kommen wird. Ein wesentlicher Grund liegt in der Größe von Fusionsanlagen. Der TOKAMAK des JET-Projekts ist zu klein, um eine andauernde kontrollierte Kernfusion zu ermöglichen. Das derzeit wichtigste internationale (z. T. über die EU finanzierte) Projekt ist ITER, eine Anlage, die in Cadarache (Frankreich) zu For- schungszwecken gebaut wird. Ziel sind Fusionsprozesse, die sich selbst aufrechter- halten und eine positive Energiebilanz zeigen, also wirtschaftlich sinnvoll sind (geplante Fertigstellung 2025, erste Deuterium-Tritium-Fusion 2035, voraussichtli- che Kosten 20Mrd. Euro).  Untersuche, überlege, forsche: Fusionsreaktoren 52.1 W 2  Am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald, Deutschland, wird ein weiterer Kraftwerkstyp untersucht. Hauptkomponente ist ein Stellerator. Wie beim Tokamak wird das 100 Millionen Grad heiße Plasma in einem Magnetfeldkä- fig eingeschlossen. Lies auf der Homepage des Instituts nach, wie der Stellerator aufgebaut ist und in welchem Stadium die Untersuchungen sind. 52.2 S 2  Sind Fusionsreaktoren tatsächlich eine mögliche „alternative“ Energiequelle? Welche technischen Probleme sind bei der Realisierung zu überwinden? Welche Vor- und Nachteile hat diese Form der Energiegewinnung? Diskutiere die Pros und Kontras mit deinen Kolleg/innen. 0 1 2 Energie in MeV E 0 1 2 3 4 5 6 7 8 Radius in 10 m r -15 -38 -39 elektrische Abstoßung 52.1 Um die elektrostatische Abstoßung der Kerne zu überwinden, muss man sie mit großer Energie aufeinander schießen. Die anziehen- den Kernkräfte werden erst unter einer Dis- tanz von etwa 10 −15  m wirksam. Vertikal- feldspulen Transformator Toroidal- feldspulen Vakuumgefäß Plasma Magnet- feldlinie 52.2 Ein Konstruktionsprinzip für einen Fusionsreaktor ist der TOKAMAK. Er hält das Plasma in einem torusförmigen Magnetfeld in Schwebe. 52.3 Im TOKAMAK von Cullham (England) gelang 1991 die erste kontrollierte Kernfusion. Es gelang für zwei Sekunden ein energie­ lieferndes Plasma herzustellen. Die Fusions- leistung beträgt derzeit etwa 2/3 der einge- koppelten Heizleistung. Für den Zeitraum 2014 bis 2018 wurde das Projekt mit 283 Millionen Euro von der EU gefördert.  52 Kernphysik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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