Sexl Physik 8, Schulbuch

Wir haben uns bisher den Aufbau der Atomkerne vorgestellt als eine nahezu ku- gelförmige Ansammlung kleiner harter Kugeln, der Protonen und Neutronen. Doch wie verhalten sich die Nukleonen im Kern? Im Zusammenhang mit der Unschärfe- relation der Quantenmechanik (s. Physik 7, S. 98–100) haben wir gesehen, dass Einsperrung von Quantenobjekten zu umso heftigerer Bewegung und höherer ki- netischer Energie führt, je kleiner der verfügbare Raum ist. Mit der Unschärfere- lation lässt sich die mittlere Geschwindigkeit von Nukleonen im Kern abschätzen: Die Nukleonen müssen sich im Kern aufhalten. Die Ortsunschärfe Δ x entspricht daher dem Kerndurchmesser. Für Sauerstoff beträgt dieser etwa 2 r ≈ 6 · 10 −15  m . Mit Δ p · Δ x = m · Δ v · Δ x > h ergibt sich Δ v > h /( m · 2 r ) ≈ 6,5 · 10 7  m/s . Was bedeutet dieses Ergebnis? Die Nukleonen bewegen sich im Atomkern zumin- dest mit einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit ( c = 3 · 10 8  m/s ). Der Atomkern ist daher keine statische Anordnung von Protonen und Neutronen sondern ein höchst dynamisches Gebilde. Ebenso wie die Verteilung der Elektronen in der Atomhülle durch Orbitale be- schrieben wird, denen bestimmte Energiestufen entsprechen, wird auch die Ver- teilung der Protonen und Neutronen im Atomkern durch Energiestufen angegeben. Während die Energiestufen der Elektronen in der Hülle Abstände von einigen eV bis 100 keV aufweisen, haben die Energiestufen der Kernteilchen Abstände von ei- nigen MeV . Wie die Elektronen in der Atomhülle können die Nukleonen im Kern bei Kernreaktionen (bei der Streuung oder der Absorption von Teilchen bzw. von elektromagnetischer Strahlung) auf höhere Energiestufen gehoben werden, von denen sie unter Emission von Photonen mit einer Energie von einigen MeV ( γ -Strahlung) in einen energetisch tieferen Zustand übergehen. Aus der Verteilung der Photonenenergien kann man auf die Struktur des Kerns schließen ( Kernspek- troskopie ). Wegen des Pauli-Prinzips, das auch für Protonen und Neutronen gilt, können sich jeweils höchstens zwei Protonen und zwei Neutronen in einem Orbital aufhalten. Dadurch erklärt sich auch die besonders große Bindungsenergie des Heliumkerns. Er enthält je zwei Protonen und Neutronen im niedrigsten Energiezustand. Wie das Pauli-Prinzip und das Konzept der Energiestufen die Stabilität bzw. Insta- bilität von Atomkernen erklären, zeigt   41.1 . Das häufigste Kohlenstoff-Isotop C-12 ist stabil. Mit der gleichen Massenzahl A = 12 können künstlich Stickstoff N-12 und Bor B-12 erzeugt werden. Diese Isotope zerfallen mit Halbwertszeiten von eini- gen Millisekunden in C-12 . d) Der Kernspin Wie die Elektronen der Atomhülle haben auch die einzelnen Kernbausteine einen Eigendrehimpuls ( Spin ) und verhalten sich wie winzige Magnete. Bei Kernen mit gerader Nukleonenzahl können sich die magnetischen Momente der Kernbausteine gegenseitig aufheben, bei ungerader Nukleonenzahl kann dies nicht erfolgen. Der Kern besitzt dann einen resultierenden Gesamtspin und ein magnetisches Moment. Der Wasserstoffkern besteht aus einem einzigen Proton und hat daher ein magne- tisches Moment. Bringt man einen Wasserstoffkern in ein Magnetfeld, so kann sich sein Spin entweder parallel oder antiparallel zum Feld einstellen. Die beiden Einstellungen stellen verschiedene Energiezustände dar. Ihre Energiedifferenz hängt einerseits von Spin und Masse des Kerns ab, andererseits von der Stärke des Magnetfelds am Ort des Kerns, also vom äußeren Magnetfeld aber auch von den Magnetfeldern, die durch die Spins der umgebenden Elektronen verursacht wer- den. Mit einem kurzen Radiowellenpuls, dessen Frequenz dieser Energiedifferenz entspricht (also im Resonanzfall), kann man den Kernspin aus dem energetisch tieferen in den energetisch höheren Zustand umklappen. Wenn die Kerne anschlie- ßend in ihre energetisch günstigere Orientierung zurückkippen, senden sie elekt- romagnetische Strahlung mit jener Frequenz aus, die sie zuvor absorbiert haben. Analysiert man die emittierte Strahlung und deren Frequenz, erhält man Informa- tion über die Struktur des Materials. Dies wird in der Chemie in der NMR-Spek- troskopie (engl. nuclear magnetic resonance spectroscopy ) zur Strukturanalyse hauptsächlich von organischen Verbindungen genutzt, in der Medizin bei der Magnetresonanztomografie zur Diagnose (s. S. 61). Energie E Energie E Energie E 12 N 12 C 12 B 41.1 Energieniveaus für Kerne mit 12 Nukle- onen (schematisch). Protonen (rot) und Neutronen (blau) besetzen Orbitale, deren Energien sich jeweils um einige MeV unterscheiden. Jedes Orbital kann maxi- mal zwei Protonen bzw. zwei Neutronen auf- nehmen. Nur C-12 ist stabil, die gesamte Ener- gie der Nukleonen ist geringer als bei B-12 und N-12. B-12 verwandelt eines seiner Neutronen durch Elektronenemission ( β - -Zerfall, S. 43) in ein Pro- ton und wird zu C-12. Bei N-12 wird ein Proton durch Emission eines Positrons in ein Neutron verwandelt ( β + -Zerfall). Es entsteht C-12. 41.2 W olfgang P auli (1900−1958) wurde in Wien geboren und absolvierte hier auch das Gymn- asium. Er dissertierte in München bei S ommer - feld und arbeitete anschließend bei N iels B ohr in Kopenhagen. 1926 entdeckte er das nach ihm benannte Pauli-Prinzip, wofür er 1945 den Nobelpreis erhielt. 1930 postulierte er die Exis- tenz des Neutrinos (s. S. 74). Pauli war jüdi- scher Herkunft und österreichischer Staatsbür- ger. 1938 bemühte er sich um die Einbürgerung in der Schweiz. Diese wurde abgelehnt. 1940 nahm er eine Professur in Princeton (USA) an. Er starb in Zürich. Wolfgang Pauli war eine geniale und außerge- wöhnliche Persönlichkeit – versuche mehr über sein Leben herauszufinden! 41 | Kernphysik Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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