Sexl Physik 8, Schulbuch

2.4 Messung und Konsequenzen der Raumkrümmung Wie kann man die Geometrie in der Umgebung der Sonne tatsächlich ausmessen, und welche weiteren Konsequenzen hat die Raumkrümmung?  Historisches Experiment: Das Shapiro-Experiment (1968, 1971) 32.1 E 1  Im Jahre 1964 schlug der amerikanische Physiker I rwin I. S hapiro eine Überprü- fung der geometrischen Verhältnisse in der Sonnenumgebung vor, die durch die Fortschritte in der Radartechnik ermöglicht wurde. Shapiros Experiment ist im Prinzip sehr einfach: Ein Radarsignal geht von der Erde aus, wird an der Venus re- flektiert und kehrt wieder zur Erde zurück. Man misst also den Abstand Erde- Venus mit Hilfe der Radarmethode. Erde, Sonne und Venus müssen sich dabei an- nähernd auf einer geraden Linie befinden, damit der Radarstrahl nahe an der Sonne vorbei läuft. Der Radarstrahl legt dabei einen annähernd radialen Weg im Schwerefeld der Sonne zurück, wobei sein Gesamtweg gleich dem Durchmesser der Erdbahn plus dem Durchmesser der Venusbahn ist (  32.1 ). Diese Durchmes- ser müssen sich nach den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie als et- was größer erweisen als nach denjenigen der euklidischen Geometrie. Wegen des größeren Weges verlängert sich die Laufzeit des Radarsignals, wenn das Signal auf seinem Weg von der Erde zur Venus und zurück knapp am Sonnenrand vorbei- geht. Shapiros Messungen bedeuten eine direkte Bestätigung der Raumkrümmung in der Umgebung der Sonne (  32.2 ). Die Laufzeitverlängerung wird nur zur Hälfte durch die Raumkrümmung hervorge- rufen. 50% des Effektes sind auf die Verlangsamung des Uhrenganges in der Son- nenumgebung zurückzuführen. Gravitationswellen Große Massen wie Sterne, Galaxien oder schwarze Löcher krümmen den Raum in ihrer Umgebung. Führen derartige Objekte eine beschleunigte Bewegung aus, wie dies etwa bei Doppelsternen der Fall ist, so gerät der Raum um sie herum in Schwingungen, es werden Gravitationswellen ausgesendet. Diese breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus. Ihre Existenz wurde bereits von Einstein postuliert. Im Jahr 1974 entdeckten J oseph T aylor und R ussell H ulse das Doppelsternsystem B1913+16, in dem ein Pulsar und ein bislang unsichtbares Objekt einander umkrei- sen. Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie sollte das System dabei durch die Abstrahlung von Gravitationswellen Energie verlieren, was sich in einer Abnahme der Umlaufzeit bemerkbar machen sollte. Die gemessenen Daten stimmen auf 0,2% genau mit der theoretischen Vorhersage überein (  32.3 ) . Dies ist – zusammen mit den Messungen an weiteren Pulsarsystemen – ein überzeugender, wenn auch nur indirekter Nachweis der Existenz von Gravitationswellen. Taylor und Hulse erhiel- ten 1993 für ihre Entdeckung den Nobelpreis. Das erste echte Doppel-Pulsar-System J0737–3039, das aus zwei Pulsaren besteht, wurde 2003 entdeckt. Die Veränderungen ihrer Umlaufbahnen bestätigen die Vor- hersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ebenfalls bestätigt wurden die Zeit- dehnung in der Nähe großer Massen (gerät der eine Pulsar auf seiner Bahn in die Nähe des anderen Pulsars, so scheint sich seine Rotationsdauer um 0,38 ms zu ver- längern), sowie die Verkürzung von Maßstäben in der Nähe großer Massen (wenn der eine Pulsar hinter dem anderen vorbeizieht, erreichen seine Signale die Erde mit einer Verzögerung von 0,09 ms ). Gravitationswellen bewirken Längenänderungen. Man versucht sie deshalb unter anderem mit Hilfe von riesigen Michelson-Interferometern (  33.1 ; siehe S. 7) nachzuweisen. Eine Gravitationswelle ändert die Längen der beiden Interferome- terarme unterschiedlich stark, wodurch sich das Interferenzmuster ändert. Die Längenänderungen der Interferometerarme betragen dabei nur etwa 10 −18  m ! Der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen gelang 2015 am LIGO-Observa- torium ( L aser I nterferometer G ravitational-Wave O bservatory, s. Physik 6, S. 4 ff.) in den USA. Es wurden Gravitationswellen gemessen, die bei der Verschmelzung Erde Sonne Venus Venus Radarstrahl Planetenbahn 32.1 Läuft der Radarstrahl auf seinen Weg zur Venus und zurück knapp an der Sonne vor- bei, so legt er wegen der Raumkrümmung einen um ca. 40 km verlängertem Weg zurück. Das Radarsignal legt dabei 516 Mio. km zurück! 32.2 Die Messergebnisse von Shapiro. Die Kurve gibt an, um wieviel sich die Laufzeit des Radarstrahls in der Sonnenumgebung ver­ längert. Die Ergebnisse stimmen mit einer Genauigkeit von 1% mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie überein, wie die Abbildung zeigt. 32.3 Das Doppelsternsystem B1913+16 ver- liert durch die Abstrahlung von Gravitations- wellen Energie. Die gemessene Verringerung der Umlaufzeit stimmt hervorragend mit den von der Allgemeinen Relativitätstheorie vor- hergesagten Werten überein.  32 Relativitätstheorie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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