Sexl Physik 8, Schulbuch

Zur Beurteilung des Ganges einer bewegten Uhr ist also ein Satz von mindestens zwei synchronisierten Uhren erforderlich, welche die Zeit t angeben. Die „gedehn- te“ Zeit t' wird dagegen an einer Uhr abgelesen, die sich an dem Uhrensatz vorbei bewegt. Im Sinne des Relativitätsprinzips ist es gleichgültig, ob wir den synchroni- sierten Uhrensatz oder die eine Uhr als ruhend oder bewegt betrachten. Nur die Relativbewegung ist für die Zeitdilatation ausschlaggebend. Die Vorhersage der Zeitdilatation war das sensationellste Ergebnis der Relativi- tätstheorie. Die Messung der Zeitdilatation erwies sich aber als überaus schwierig.  Historisches Experiment: Myonenzerfall 17.1 E 1  Das Experiment wurde 1977 im Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf durchgeführt (  17.4 ). Zur Messung der Zeitdilatation wurden Myonen benützt. Diese Elementarteilchen gleichen in vielen Eigenschaften den Elektro- nen. Myonen sind jedoch instabil und zerfallen bereits wenige Millionstel Sekun- den nach ihrer Entstehung. Hätte man z. B. zum Zeitpunkt t = 0 insgesamt 10 000 Myonen erzeugt und könnte man sie in einem Gefäß aufbewahren, so fände man nach einer Mikrosekunde nur mehr 6347 davon vor, nach 1,52μs sogar nur mehr 5000 Myonen, also die Hälfte. Man bezeichnet daher T 1/2  = 1,52μs als die Halb- wertszeit der Myonen. Der Myonenzerfall folgt einem Exponentialgesetz, wie dies auch für den Zerfall von radioaktiven Isotopen der Fall ist (  17.1 ). In dem hier beschriebenen CERN-Experiment beobachtete man den Zerfall von Myonen, die nicht ruhten, sondern mit der Geschwindigkeit v = 0,999 42 c in einem Speicherring kreisten. Wir können die kreisenden Myonen als bewegte Uhren ansehen. Wegen der Zeitdi- latation erscheint ihr Zerfall einem ruhenden Beobachter verlangsamt. Die Halb- wertszeit der kreisenden Myonen vergrößert sich daher auf den Wert T 1/2  ( v ) = ​  T 1/2 __  ​ 9 _ _ 1 – ​  v 2 _ c 2 ​ ​ ​= ​  1,52µs ___   ​ 9 __ ____ 1 – (0,999 42) 2 ​ ​= 44,6µs Die Messungen bestätigten diese Vorhersage der Relativitätstheorie, wobei die Messgenauigkeit 0,1% betrug (  17.2 ).  Historisches Experiment: Hafele-Keating-Experiment 17.2 E 1  Heute kann die Zeitdilatation mit Atomuhren nachgewiesen werden, wobei die Geschwindigkeit von Flugzeugen ausreicht, um messbare Effekte hervorzuru- fen. Das erste derartige Experiment wurde im Jahre 1971 von den amerikanischen Physikern J oseph H afele und R ichard K eating durchgeführt (  17.3 ). An der Universität Heidelberg wurde 2002 die Zeitdilatation durch die Messung der Strahlungsfrequenz von Ionen, die sich mit 6% der Lichtgeschwindigkeit be- wegten, auf 9 Dezimalstellen genau bestätigt. 0 1 2 3 4 5 6 t in µ s 0 2500 5000 7500 10000 Zahl der Myonen 1,52 µ s 1,52 µ s Messpunkte (mit statistischen Fehlergrenzen) theoretische Zerfallskurve (Exponentialzerfall) 17.1 Der Zerfall der Myonen gehorcht einem exponentiellen Gesetz. Nach T 1/2  = 1,52 μ s ist je- weils nur die Hälfte der ursprünglich vorhan- denen Myonen übrig geblieben, falls die Teil- chen ruhen. Zerfallskurve von Myonen im Speicherring Zerfallskurve von ruhenden Myonen 10 20 30 40 50 60 0 t in µ s 0 2500 5000 7500 10000 Zahl der Myonen 17.2 Die im Speicherring kreisenden Myo- nen zerfallen infolge der Zeitdilatation wesent- lich langsamer als ruhende Myonen. Im CERN-Experiment verlängert sich die Halb- wertszeit um den Faktor 29,4 auf 44,6 μ s. 17.3 H afele und K eating mit vier Atomuhren an Bord eines Verkehrsflugzeuges (aus TIME vom 18. Oktober 1971).  17.4 Speicherring für Myonen am FermiLab (USA). In einer Vakuumröhre zwischen zwei supraleitenden ringförmigen Magnetspulen (Durchmesser 15m) fliegen positive Myonen auf einer Kreisbahn. Die Zeitdilatation ermög- licht eine lange Messdauer über mehrere tausend Umläufe und dadurch die hochpräzise Messung von Eigenschaften der Myonen. 17 | Relativitätstheorie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=