Sexl Physik 8, Schulbuch

2.2 Mikrosystemtechnik Im vorigen Abschnitt wurde beschrieben, wie Techniker/innen Konstruktionen aus der Natur übernehmen, sie weiterentwickeln und den menschlichen Bedürfnissen anzupassen versuchen. Auf der Suche nach Entwicklungen für die Zukunft werden zweierlei Strategien verfolgt: Entweder versucht man bekannte Materialien zu optimieren, indem man sie beispielsweise immer leistungsfähiger macht – oder man sucht Werkstoffe mit ganz neuen Eigenschaften. Optimale Voraussetzungen für eine zielgerichtete Mate- rialentwicklung sind dann gegeben, wenn der atomare bzw. molekulare Aufbau der Materialien mit möglichst geringem Aufwand kontrolliert werden kann. Mo- derne Materialforschung ist daher eng mit der Erforschung der molekularen Zu- sammenhänge verknüpft. Eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist die Mikrosystemtechnik . Es geht dabei um Größenordnungen, die viel feiner sind als ein menschliches Haar, nämlich um den Mikro- und Nanometerbereich. Ziel dieses Forschungsgebiets ist es bestehende Systeme zu verbessern oder neue zu erschaffen. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass sich hier ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten er- öffnen. Im Folgenden soll ein kleiner Einblick in den Forschungsbereich der Mikro- systemtechnik gegeben werden. Einsatzbereiche der Mikrosystemtechnik a) In der Medizin werden Mikromotoren ( ¿ ca. 2mm ) eingesetzt, die auf ihre Mas- se bezogen erheblich mehr leisten als große Motoren. Die Verlustwärme, die beim Betrieb produziert wird, kann durch die im Vergleich zum Volumen große Oberflä- che besser abgeführt werden. Derartige Motoren werden bei Herzoperationen ein- gesetzt, wo sie die Pumpfunktion des Herzens während der Operation vollständig übernehmen können. Auch sind Miniaturfräsen denkbar, die an Innenwänden von Arterien Cholesterinablagerungen „abschaben“ (Infarktvermeidung). Endoskope sind optische Instrumente, die einen Blick ins Körperinnere ermögli- chen. Man kann mit ihnen innere Organe (z. B. den Magen) von außen untersuchen oder sogar operieren. Sie bestehen aus mehreren tausend Glasfasern, welche einen Durchmesser von wenigen 1/100mm haben. Das im Endoskop sichtbare Bild setzt sich aus vielen Bildpunkten der einzelnen Glasfasern zusammen (s. Physik 7, S. 57). In Zukunft sollen in den Körper eingepflanzte Glucosesensoren den Blutzucker von Diabetes-Patientinnen und -Patienten messen und eine Insulinpumpe steuern. b) Die Verkehrssicherheit von Fahrzeugen konnte in den vergangenen Jahren auf- grund der Mikrosystemtechnik (Antiblockiersysteme, Airbags usw.) entscheidend verbessert werden. Bei vielen dieser Maßnahmen geht es darum, die Konse- quenzen menschlichen Fehlverhaltens abzumildern. Intelligente Assistenzsysteme für KFZ sollen Kollisionen von Fahrzeugen überhaupt vermeiden. Jetzt schon nut- zen Aufprallsensoren , die das Auslösen der Airbags steuern, das Trägheitsprinzip, um einen Aufprall anhand der dabei auftretenden hohen Beschleunigungswerte festzustellen. In Aufprallsensoren sind Siliciumplättchen zwischen zwei festen Metallplättchen schwingungsfähig gelagert. Das Siliciumplättchen bildet mit den beiden Metallplättchen und den Luftspalten zwei Kondensatoren. Beim Abbremsen wird es aus seiner Ruhelage ausgelenkt. Somit ändern sich die Kapazitäten der Kondensatoren. Aus der Differenz der beiden Werte errechnet die Auswerteelekt- ronik die Beschleunigung. Wenn die Beschleunigung einen bestimmten Wert über- schreitet, wird das Signal zur Aktivierung des Airbags gegeben (  112.1 ). In Handys sorgen Beschleunigungssensoren u. a. dafür, dass sich das Display dreht, wenn man das Gerät auf die Seite stellt. Auch in Notebooks misst ein Sensor die Beschleunigung. Sobald die Erschütterungen zu stark sind, schaltet der Rech- ner automatisch ab, um Datenverluste (Head-Crash) zu vermeiden (  112.2 ). 111.1 Gulliver im Reich der Liliputaner –Physik setzt Grenzen. Schon zu Beginn des 18. Jh. wagte sich der Schriftsteller Jonathan Swift in den Bereich der Mikrowelten. Gulliver trifft in Liliput auf Abbilder des Menschen, die exakt auf den Maßstab 1 : 12 verkleinert sind. Im Roman errechneten die Liliput-Mathematiker, dass Gulliver aufgrund der Ähnlichkeiten im Körper- bau 1728 (= 12 3 ) mal so viel Nahrung aufneh- men müsste wie ein einziger Liliputaner. Doch physikalisch betrachtet ist diese Rechnung nicht richtig. Man nahm an, dass die von Lebe- wesen an die Umgebung abgegebene Energie- menge proportional zu ihrem Körpergewicht ist. Die abgestrahlte und daher benötigte Energiemenge ist jedoch proportional zur Körperoberfläche. Kleine Lebewesen müssen relativ viel mehr essen als große. Gulliver wäre also mit der vorgeschlagenen Nahrungsauf- nahme hoffnungslos überfüttert worden. 111.2 Das kleinste Auto der Welt: Es besteht aus einem einzigen Molekül und ist nur einen Nanometer lang, wird elektrisch angetrieben und fährt in eine bestimmte Richtung. Die Ent- wicklung von Maschinen in Molekülgröße ist derzeit noch Grundlagenforschung. 111 | VERTIEFUNG UND WIEDERHOLUNG Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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