Sexl Physik 8, Schulbuch

bei dem die rücktreibende Kraft proportional zur Auslenkung ist, ist bei chaotisch oszillierenden Systemen die rücktreibende Kraft eine nichtlineare Funktion der Auslenkung (z. B. proportional zur dritten Potenz oder zum Sinus der Auslenkung). Das Verständnis nichtlinearer komplexer Systeme gehört zu den großen wissen- schaftlichen Herausforderungen, da dieses für die gesamten Naturwissenschaften von Bedeutung ist. Galaxien, Wolken, chemische Reaktionen, optische, magneti- sche und quantenphysikalische Systeme, aber auch Nervensysteme und menschli- che Gesellschaften zeigen ein komplexes zeitliches Verhalten. Einfache Rückkopplung Chaotische Systeme sind deterministische, dynamische Systeme . Dynamische Systeme sind Systeme, deren Zustand sich innerhalb der Zeit verändert, wobei die Veränderung kontinuierlich erfolgen kann, aber auch sprunghaft. Die Dynamik des Systems ergibt sich häufig aus Rückkopplungs-Mechanismen. In Physik 6, Seite 36 haben wir den Begriff der Rückkopplung bereits am Beispiel des Wechselspiels von Ist- und Soll-Wert einer Heizung kennengelernt. Wie chaotisches Verhalten durch Rückkopplung entsteht, zeigen die folgenden Beispiele. Die Videokamera verarbeitet ein Bild, das anschließend leicht verändert am Schirm dargestellt wird und dann wieder verarbeitet wird (Experiment   104.1 ). Der Versuch zeigt uns wesentliche Merkmale chaotischer Systeme: − − Der folgende Zustand wird durch den vorangegangenen über Rückkopplung bestimmt. − − Die Rückkopplung erfolgt nichtlinear. Ein bisschen Mathematik: Populationsdynamik 104.1  Dynamische Systeme lassen sich in ihren Grundzügen an einem einfachen ma- thematischen Modell für das Wachstum einer Tierpopulation ohne Feinde, aber mit beschränktem Lebensraum studieren. Modell I : Verfolgen wir den Bestand an Tieren über die Jahre, so wird seine Ent- wicklung von der Geburtenrate b und der Sterberate s abhängen. Gab es im k -ten Jahr N k Tiere, so ergibt sich im folgenden Jahr N k+1 als N k+1  = (1 + b − s ) · N k . Für b > s wächst die Population jährlich um denselben Faktor. Das Wachstum er- folgt exponentiell. Nach einigen Jahren wird das mathematische Modell unrealis- tisch, der Lebensraum reicht nicht mehr für die große Zahl an Individuen. Hunger führt zu einer erhöhten Sterberate. Modell II : ​  ääää  N ​ sei jene Population, die den Lebensraum vernichtet und sich dadurch selbst ausrottet. Wir modifizieren daher die obere Gleichung durch einen Zusatz- term: N k+1  = (1 + b − s ) · N k · (1 − N k /​  ääää  N ​ ). Indem wir (1 + b − s ) = a und N k /​  ääää  N ​ = x k setzen, erhalten wir für die Glieder der Folge die einfachere Gleichung x k+1  = a · x k · (1 − x k ), 0 < x k  < 1, k = 0, 1, 2, …. Nach Wahl eines Startwerts x 0 ergibt sich durch wiederholte Berechnung (Iterati- on) das weitere Schicksal der Population. Die Abbildungen   104.1 und   104.2 zeigen für einige Werte von a die Entwicklung. Abhängig von a wird schließlich entweder ein stabiler Wert erreicht oder die Population beginnt zu schwanken. Zunächst pendelt sie zwischen zwei Werten, dann zwischen vier, acht, … , und geht schließlich bei Überschreiten eines kritischen Wertes ( a ≈ 3,57) in ein un­ periodisches, chaotisches Verhalten über. In diesem Bereich ist das System sehr empfindlich: Kleine Unterschiede in den Anfangswerten führen nach wenigen Ite- rationen zu einem völlig unterschiedlichen Verhalten. 104.1 Zeitliche Entwicklung einer Population im Modell II für verschiedene Werte des Wachstumsparameters a : (1) Konvergenz gegen einen Grenzwert, (2) periodische und (3) aperiodische Schwankungen. 104.2 Die Folge x k strebt nach vielen Schrit- ten k gegen einen Grenzwert ( a < 3), bzw. für zunehmendes a > 3 zuerst gegen zwei, vier, acht,… verschiedene Werte. Ab einem kritischen Wert ( a ≈ 3,57) ist keine Periodizität zu erkennen.  Experiment: TV-Schirm 104.1 E 1 Du brauchst : einen Monitor, eine Videokamera (Webcam). Verbinde die Kamera mit dem Eingang des Monitors. Richte die Kamera (leicht verkantet) auf den Schirm. Dieser soll möglichst bildfüllend abgebildet sein. Gib etwas vor die Linse der Kamera (Finger, Licht eines Feuerzeugs) und beobachte das oszillierende Bild am Monitor. Verändere die Brennweite oder die Beleuchtung. Auf YouTube findest du unter „Videofeedback“ zahlreiche Beispiele für derartige Rückkopplungen.  104 VERTIEFUNG UND WIEDERHOLUNG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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