Sexl Physik 8, Schulbuch

1.2 Kausalität und Vorhersagbarkeit Den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung bezeichnet man als Kausali- tät . In der Physik gehen wir davon aus, dass gleiche Ursachen die gleichen Wir- kungen haben. Bei der praktischen Anwendung der Naturgesetze erkennen wir, dass die Lage komplizierter ist. Die Ausgangssituationen sind nie exakt gleich, wir finden nie exakt gleiche Ursachen vor und können diese auch nicht künstlich schaffen. Es gilt: Starke Kausalität Ähnliche Ursachen führen zu ähnlichen Wirkungen. Dies entspricht weitgehend unserer Erfahrung mit natürlichen oder technischen Phänomenen. Allerdings gibt es auch Erscheinungen, die dieser Vorstellung wider- sprechen: Lassen wir eine Anzahl von Luftballons gleichzeitig vom selben Ort star- ten, so laufen ihre Flugbahnen bald weit auseinander; werfen wir einen Würfel, ist die Augenzahl zufällig. Obwohl die Bewegungen der Luftballons und des Würfels durch die uns bekannten Naturgesetze determiniert sind, sind sie nicht vorhersag- bar. Wir sprechen daher von schwacher Kausalität. Schwache Kausalität Ähnliche Ursachen können zu völlig verschiedenen Wirkungen führen. Wir wollen das genannte Phänomen am Beispiel des Doppelpendels untersuchen.  Experiment: Doppelpendel 103.1 E 1 Du brauchst : ein Doppelpendel (  103.1 ) Was ist zu tun ? Starte das Doppelpendel mehrmals aus derselben Anfangslage. Kannst du Unterschiede in der Bewegung erkennen? Beschreibe sie. Beim Betrachten des schwingenden Doppelpendels sieht man bald, dass man in der Regel das Verhalten nur für kurze Zeiten vorhersagen kann. Für längere Zeiten sind bestenfalls Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber möglich. Besonders kriti- sche Phasen ergeben sich, wenn eines der Pendel sich einem Überschlag nähert: Wird die Energie ausreichen, um den Scheitelpunkt zu überschreiten, in welche Richtung wird es sich drehen? Wie kommt es, dass trotz bekannter Bewegungsgesetze keine längerfristigen Pro- gnosen über die Bewegung des Doppelpendels möglich sind? Eine Antwort auf die- se Frage fand der Meteorologe E dward L orenz (1917–2008, USA). Das Wetter ist wohl das bekannteste System, in dem Langzeitvorhersagen nicht möglich sind. Als Lorenz 1961 das Wetter auf dem Computer simulierte und er eher zufällig einmal eine Rechnung mit gerundeten Anfangswerten wiederholte, ent- deckte er, dass sich das System plötzlich völlig anders entwickelte. Die empfindli- che Abhängigkeit von den Anfangsbedingungen bezeichnet man seit Lorenz als Schmetterlings-Effekt : Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann die Ursache eines Wirbelsturms sein. Der Effekt zeigt sich auch in ganz anderen Zusammen- hängen. Ein Beispiel ist das Magnetfeld der Erde, dessen unregelmäßiges Umpolen in Physik 7 (S. 13) erwähnt wurde. Selbst das regelmäßige Anstoßen eines starren Pendels oder einer Kinderschaukel kann zu chaotischem Verhalten führen. Ebenso können elektronische Schwingkreise oder tropfende Wasserhähne chaotisches Verhalten zeigen. Physikalische Systeme, die besonders sensitiv gegenüber wenig verschiedenen Anfangsbedingungen sind, werden chaotisch genannt. Kleine Unterschiede in den Anfangsbedingungen können zu völlig verschiedenem Verhalten führen. Bei chaotischen Systemen ist es unmöglich, das Verhalten des Systems auf beliebig lange Zeit vorherzusagen. Chaotische Prozesse sind nichtlinear, d. h. sie antworten auf Einwirkungen von au- ßen nicht in jedem Bereich proportional. Im Gegensatz zum harmonischen Pendel, 103.1 Doppelpendel: Wenn man zwei starre Pendel an einander hängt, kann man die viel- fältigen Schwingungsformen eines Doppel­ pendels untersuchen. Bauanleitungen unter physikplus.oebv.at 103.2 Turbulenz ist ein Musterspiel für ein unberechenbares, jedoch durch Naturgesetze bestimmtes Phänomen. Mischungsprozesse wie im Bild beobachtest du auch, wenn du Milch in den Kaffee gibst. Turbulenzen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Wolken und beeinflussen das Klima. 103.3 EKG Kammerflimmern Beim Kammerflimmern treten unregelmäßige elektrische Impulse auf, die zum „Sekunden- herztod“ führen können. Dabei geben viele Tausende Muskelfasern plötzlich ihre exakte Koordination auf. Im EKG (der Aufnahme der Herzströme) lässt sich eine mathematische Struktur erkennen (die „Perioden-Verdop- pelung“), die den Weg ins deterministische Chaos beschreibt. P oincaré , 1903: Eine sehr kleine Ursache, die wir nicht be- merken, bewirkt einen beachtlichen Effekt, den wir nicht übersehen können, und dann sagen wir, der Effekt sei zufällig … 103 | VERTIEFUNG UND WIEDERHOLUNG Nur zu P üfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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