Sexl Physik 8, Schulbuch

Diese beiden Fundamente der Relativitätstheorie, das Relativitätsprinzip und das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die Einstein auf Grund der er- wähnten Experimente postulierte, waren zunächst nur unbewiesene Annahmen. Da außerdem viele Folgerungen aus diesen Prinzipien schwer zu verstehen sind und dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen, war die Relati- vitätstheorie lange Zeit heftig umstritten. Heute sind ihre Ergebnisse aber so gut durch Experimente bestätigt, dass an ihrer Gültigkeit nicht mehr gezweifelt wer- den kann. Das Relativitätsprinzip war nicht neu. In der klassischen Mechanik hatte es sich hervorragend bewährt. Es besagt, dass in jedem unbeschleunigten Bezugssystem, und sei seine Geschwindigkeit noch so groß, alle Vorgänge genauso ablaufen wie in einem ruhenden Bezugssystem (siehe auch Physik 5, S. 29). Niemand, der in ei- nem Flugzeug sitzt, wundert sich, dass es der Stewardess gelingt, Kaffee in eine Tasse zu gießen, obwohl man, könnte man der Stewardess vom Boden aus durch ein Fernrohr zusehen, ihre Treffsicherheit bewundern würde, bewegt sich doch der Kaffee entlang einer etwa 40m langen Wurfparabel und landet trotzdem genau in der Tasse. Einsteins Verdienst liegt darin, dass er die Gültigkeit des Relativitätsprinzips auf alle anderen Teilgebiete der Physik wie etwa die Optik oder die Elektrody- namik ausdehnte. Da wir uns in der Folge mit relativistischer Mechanik beschäftigen werden, könnte der Eindruck entstehen, die Relativitätstheorie sei einfach eine neue, verbesserte Art der Mechanik. Dies ist aber nicht der Fall. Wie schon der Titel von Einsteins Artikel „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ nahelegt, gingen Einsteins Überle- gungen von Problemen der Elektrodynamik aus. Bewegt sich zum Beispiel ein Leiter im Feld eines Magneten (  10.1 ), so wird in ihm eine elektrische Spannung erzeugt. Die Ursache dafür ist nach Auffassung der klassischen Physik die Lorentzkraft, die auf bewegte Ladungen – die Elektronen im Leiter – in einem Magnetfeld wirkt. Ruht jedoch der Leiter und bewegt sich der Magnet, so ist nach der klassischen Physik die Situation eine völlig andere. Das bewegte und damit zeitlich veränderliche Magnetfeld erzeugt ein elektrisches Feld, das auf die Elektronen im Leiter eine Kraft ausübt. Dieses elektrische Feld sollte im Falle des ruhenden Magneten und des bewegten Leiters nicht vorhanden sein. Die im Leiter erzeugte Spannung ist aber in beiden Fällen gleich groß. Es kommt also offensichtlich nur auf die Bewegung von Magnet und Leiter relativ zueinander an. Welcher von beiden Gegenständen als ruhend und welcher als be- wegt angesehen wird, ist unerheblich. Von welchem Bezugssystem aus man auch die Situation betrachtet, ob vom Standpunkt des Magneten oder vom Standpunkt des Leiters, die Stromstärke ist dieselbe. Die Unterscheidung von Lorentzkraft und Induktion erschien Einstein künstlich und unbefriedigend und veranlasste ihn, die Gültigkeit des Relativitätsprinzips nicht nur für die Mechanik, sondern auch für die Elektrodynamik anzunehmen.  Gedankenexperiment zur Lichtausbreitung 10.1 E 1  Wir betrachten eine Person in einem Eisenbahnwaggon (  10.2 ). Der Wag- gon habe die Geschwindigkeit v . Geht nun die Person im Waggon mit der Ge- schwindigkeit w (relativ zum Waggon) nach vorne, so beträgt ihre Geschwindigkeit gegen den Bahndamm v + w . Leuchtet hingegen eine im Waggon stehende Person mit einer Lampe nach vorne, so müssten sich die Lichtstrahlen relativ zum Bahndamm mit der Geschwindigkeit v + c bewegen. Das ist aber ein Widerspruch zum Prinzip der Konstanz der Lichtge- schwindigkeit, denn nach diesem sollte sich das Licht auch im System des Bahn- dammes mit der Geschwindigkeit c ausbreiten. Dies scheint unmöglich zu sein. Indem sich E instein von den bis dahin als unumstößlich geltenden Vorstellungen von Raum und Zeit löste, konnte er die Relativitätstheorie entwickeln, in der ein solcher Widerspruch nicht auftritt. 0 0 Die Spule wird bewegt Der Magnet wird bewegt 10.1 Zur Berechnung der induzierten Span- nung muss man gemäß der klassischen Physik zwei verschiedene Formeln anwenden, je nachdem, ob die Spule ruht und der Magnet sich bewegt oder umgekehrt. Da aber die Spannung in beiden Fällen gleich groß ist, er- schien Einstein eine einheitliche Beschreibung sinnvoller. w v v c 10.2 Bei der Addition von Geschwindig­ keiten liefert die klassische Physik falsche Ergebnisse, wenn große Geschwindigkeiten im Spiel sind.  10 Relativitätstheorie Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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