Sexl Physik 7, Schulbuch

Führt man den Versuch jedoch mit Elektronen durch, findet man bei engen Spalten völlig andere Resultate: Bei Abdeckung eines Spaltes entsteht ein breites unscharfes Bild des anderen, of- fenen Spaltes (Beugung am Einfachspalt). Wenn beide Spalte offen sind, ergibt sich das typische Interferenzbild einer Welle am Doppelspalt: W 12 ≠ W 1 + W 2 . Die Auftreffwahrscheinlichkeit am Schirm wird durch die Interferenz bestimmt. ( 95.3 unten, 96.1 d ) Dadurch liegt auch für Elektronen die folgende Interpretation nahe: Born’sche Deutung (II) Das Verhalten der Elektronen beim Durchgang durch einen engen Spalt wird durch eine Welle Ψ beschrieben. Die Wahrscheinlichkeit W des Auftreffens eines Elektrons an einer bestimmten Stelle des Schirmes wird durch das Quadrat der Amplitude dieser Welle Ψ 2 bestimmt. Sind Elektronen Wellen? Was wellt? Die Amplitude der mit Teilchen verknüpften Welle wird üblicherweise mit dem griechischen Buchstaben Ψ (Psi) bezeichnet. Die Bezeichnung Materiewelle (Elek- tronenwelle, Neutronenwelle usw.) ist zwar gebräuchlich, führt jedoch zu Missver- ständnissen, da sie suggeriert, dass eine Wellenbewegung materieller Teilchen vorliegt. Die Wellenfunktion Ψ muss man jedoch als Wahrscheinlichkeitswelle deuten, deren Quadrat Ψ 2 die Aufenthaltswahrscheinlichkeit W der zugehörigen „Teilchen“ bestimmt. Um zwischen klassischen Teilchen (z. B. Sandkörnern) und den durch eine Wellenfunktion bestimmten „Teilchen“ zu unterscheiden, wollen wir letztere als Quantenobjekte bezeichnen. Warum bestimmt Ψ 2 und nicht Ψ die Aufenthaltswahrscheinlichkeit? Nehmen wir eine reine Sinuswelle y 0 · sin 2 π ( t / T − x / λ ) (s. Physik 6, S. 44) als Beispiel für eine Wellenfunktion Ψ . Diese Funktion nimmt positive und negative Werte an und kann daher keine Wahrscheinlichkeit darstellen. Bei der Lichtbeugung am Spalt zeigte sich, dass viele Photonen dort auftreffen, wo nach der Wellentheorie die Intensität der Welle groß ist. Intensität entspricht dem Betragsquadrat der Wellenfunktion. Daher kann Ψ 2 mit der Eigenschaft Ψ 2 º 0 eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit dar- stellen. Selbst wenn bei geringer Strahlintensität die Elektronen einzeln durch den Ver- suchsaufbau fliegen und beide Spalte offen sind, ergibt sich ein Interferenzbild. ( 96.1 ) Fliegen vielleicht halbe Elektronen durch die Spalte, um anschließend mit der anderen Hälfte zu interferieren? Um dies zu überprüfen, könnte man direkt hinter jedem Spalt Zähler für Elektro- nen anbringen. Man könnte erwarten, halbe Elektronen zu zählen. In solchen Experimenten werden jedoch immer ganze Elektronen registriert. Wenn dabei beide Spalte offen sind, verschwindet durch die Messung des Ortes von Elek- tronen das Interferenzbild. Wenn man also weiß, durch welchen Spalt Teilchen ge- hen, dann interferieren sie nicht. Man kann nicht im selben Experiment die Inter- ferenz der Teilchen hinter den Spalten eines Beugungsgitters und die Bahnen der Elektronen beobachten. Das Doppelspaltexperiment mit einzelnen Elektronen führt auf eine fundamentale Frage, die für die Quantenphysik typisch ist: Haben Quantenobjekte überhaupt Bahnen, wenn ihr Ort nicht gemessen wird? Wenn man nicht entscheiden kann, durch welchen Spalt das Elektron gegangen ist, kann man nicht von einer „Bahn“ des Elektrons sprechen. Die de Broglie-Beziehung gilt nicht nur für Elektronen: 1974 wurde am Atominsti- tut der Österreichischen Hochschulen in Wien von H. Rauch erstmals die Interfe- renz von Neutronenstrahlen beobachtet ( 96.2 ) und zu wichtigen Grundlagenver- suchen der Quantenphysik genutzt. Die Interferenz von Teilchenstrahlen wurde auch bei Atomstrahlen beobachtet. Die Wellenoptik von Atom- und Molekülstrah- len ist ein aktuelles physikalisches Forschungsgebiet. 96.1 Erst 1961 gelang der Nachweis der Beugung von Elektronen an einem Doppel- spalt. 1989 konnte erstmals der langsame Aufbau des Beugungsbilds mit einzelnen Elektronen beobachtet werden. Diese Abbil- dung zeigt (a) 8, (b) 270, (c) 2000 , (d) 60000 Elektronen. Neutronenstrahl reflektierende Ebenen Phasenschieber Si-Perfektkristall Analysator Detektor 96.2 Aus einem idealen Siliciumkristall ist dieses Neutroneninterferometer geschnitten worden. Die Stege wirken durch Neutronen- beugung als Strahlteiler. Bringt man in einen Strahlengang ein Medium, das die Phase der Neutronenwelle verändert, so verschieben sich die Interferenzstreifen im Detektor. 96.3 Dieser Schifahrer scheint ein Quanten- objekt zu sein – er hinterlässt paradoxe Spuren. (Karikatur aus The New Yorker, 1940) 96 QUANTENPHYSIK Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=