Sexl Physik 7, Schulbuch

Die Huygens’sche Wellentheorie des Lichts Bis zum Ende des 19. Jh. bemühten sich die Naturwissenschafter, alle Wirkungen in der Natur auf mechanische Vorgänge zurückzuführen. Vom Phänomen auf die Ursache zu schließen, ist allerdings nicht eindeutig möglich, und daher gelangte HUYGENS zu einer anderen Vorstellung vom Licht als Newton. Licht musste für Huygens mit Bewegung verbunden sein: In einer Flamme oder im Brennpunkt eines Hohlspiegels werden feste Körper zerlegt, was auf Bewegung hinweist. Aus Ole Römers Jupitermond-Beobachtung (S. 55) hatte Huygens einen Wert der Lichtgeschwindigkeit abgeschätzt, der ihm für materielle Teilchen uner- reichbar groß schien – Licht konnte für ihn daher nicht aus Teilchen bestehen. Vorbild für die Ausbreitung des Lichts war für ihn die Schallausbreitung . Den Be- griff Welle borgte er von den Wasserwellen. Huygens nahm an, dass der gesamte Raum – auch der leere Weltraum und das Innere aller Körper – von einem besonderen Stoff aus Teilchen, dem Lichtäther , erfüllt ist. Jeder leuchtende Punkt einer Lichtquelle ruft im Lichtäther eine Kugel- welle (Elementarwelle) hervor, die sich durch elastische Stöße der Teilchen des Lichtäthers ausbreitet. Diese Kugelwellen überlagern sich ungestört und bilden ge- meinsam eine Wellenfront. Von allen Punkten der Front gehen wieder Elementar- wellen aus, die sich zur neuen Wellenfront überlagern ( Huygens’sches Prinzip ). Zur Ableitung des Reflexionsgesetzes und des Brechungsgesetzes musste Huygens annehmen, dass sich die Elementarwellen in Materie mit geringerer Geschwindig- keit ausbreiten als im Vakuum. (s. Physik 6, S. 47 ff.) Mit der Huygens’schen Vorstellung der ungestörten Überlagerung der Elementar- wellen wird gefordert, dass Lichtstrahlen einander unbeeinflusst durchdringen können. Andernfalls wäre es unmöglich, „ dass mehrere Beobachter gleichzeitig durch ein und dieselbe Öffnung verschiedene Gegenstände sehen können … “. Aus späterer Sicht war Huygens’ Wellenmodell nur ein erster Schritt. Viele Eigen- schaften und Begriffe, die wir heute mit Wellen, insbesondere mit Licht, verbinden, fehlten noch: Wellenlänge, Frequenz, mathematische Beschreibung der Wellenaus- breitung, Beugung, Interferenz, Polarisation. Vorläufiger Sieg des Wellenmodells Zwei konkurrierende Modelle zur Natur des Lichts waren etwa gleichzeitig vorge- stellt worden. Die Entscheidung zu Gunsten des Wellenmodells des Lichts fiel erst 100 Jahre später, als T HOMAS Y OUNG (1773–1829, englischer Physiker) im Jahr 1801 die Interferenz von Licht mit dem Doppelspaltexperiment nachwies. Nur Wellen können sich konstruktiv bzw. destruktiv überlagern, Teilchenstrahlen können dies nicht. Zusätzlich gelangte Young durch die Deutung der linearen Polarisation von Licht zur Erkenntnis, dass Licht nicht aus Longitudinalwellen, sondern aus Trans- versalwellen besteht. Damit setzte sich die Erkenntnis durch, dass Licht ein Wellenphänomen ist. Das verstärkte Interesse an den Eigenschaften des Lichts führte Anfang des 19. Jh. zur Entdeckung der Infrarot- und der Ultraviolett-Strahlung. Die Rolle der Beu- gung des Lichts für optische Geräte wurde erkannt, was zu verbesserten Mikro- skopen und Teleskopen führte und zum Entstehen einer optischen Industrie bei- trug. Die Messung der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum und in Materie bestätigte das Brechungsgesetz in der von Huygens angegebenen Form. Schließlich zeigte sich, dass das verfeinerte Wellenmodell des Lichts in der Max- well‘schen Theorie des Elektromagnetismus enthalten ist. War damit die Entwicklung abgeschlossen? In den 1890er Jahren zeigte sich ein schwerwiegendes Problem: Die bisher entwickelte Physik, später als klassische Physik im Gegensatz zur modernen Physik ab 1900 bezeichnet, versagte bei der Aufgabe, die von glühenden Körpern ausgehende Temperaturstrahlung quantitativ zu beschreiben. Die Lösung, die Max Planck am 14. Dezember 1900 seinen Berliner Kollegen vortrug, bedeutete einen radikalen Bruch und führte zu Einsteins Teil- chenmodell des Lichts. Wie sich aber zeigte, musste diese neue Vorstellung mit ei- nem Wellenmodell kombiniert werden. Die Diskussion um die Frage „Licht – Welle oder Teilchen?“ konnte damit wieder beginnen. A A’’ B’’ C’’ A’’ B’ Luft Glas     88.1 C HRISTIAN H UYGENS (1629–1695, Niederlande) entwickelte als Erster eine Wellentheorie des Lichts. Er war ein sehr vielseitiger Wissen- schafter. Er gilt als Begründer der Wahrschein- lichkeitsrechnung, baute die erste genau ge- hende Pendeluhr und fand den Saturnmond Titan. 88.2 „Zunächst folgt nämlich über die Erzeu- gung des Lichts, dass jede kleine Stelle eines leuchtenden Körpers, wie der Sonne, einer Kerze oder einer glühenden Kohle, ihre Wellen erzeugt, deren Mittelpunkt diese Stelle ist. Sind demnach in einer Kerzenflamme A, B, C verschiedene Punkte, so stellen die um jeden dieser Punkte beschriebenen konzentrischen Kreise die Wellen dar, welche von ihnen ausgehen.“ (Huygens, Traité de la lumière, 1690) 88.3 Brechung. Die ebenen Wellenfronten er- geben sich durch Überlagerung der Elementar- wellen. Die Lichtstrahlen stehen normal auf die jeweiligen Wellenfronten. Die Brechung des Lichts folgt aus den unterschiedlichen Aus- breitungsgeschwindigkeiten des Lichts in den beiden Medien (s. Physik 6, S. 49). 88 THEORIEENTWICKLUNG Nur zu Prüfz ecken – Eigentum des Verlags öbv

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