Sexl Physik 7, Schulbuch

1 Licht – Wandel des physikalischen Weltbilds In diesem Kapitel geht es um den langwierigen Weg zu einer widerspruchs- freien Theorie am Beispiel des Lichts. Licht – Welle oder Teilchen? Am Beispiel des Lichts lässt sich illustrieren, wie ausgehend von Beobachtungen und vielfach sehr phantasievollen Vermutungen schließlich ein Netz von Gesetzen entsteht, das mit wenigen Annahmen eine Vielfalt von Phänomenen erklärt. Ein solches in sich widerspruchsfreies Netz von Gesetzen wird als physikalische Theorie bezeichnet. Sie muss nicht nur bekannte Phänomene und Effekte be- schreiben, sondern auch auf neue, bisher unbekannte Phänomene anwendbar sein bzw. solche Phänomene vorhersagen können. Der Entwicklungsweg einer Theorie ist selten geradlinig, sondern enthält viele Irrungen und Sackgassen. Eine Theorie wie die Maxwell‘sche Elektrodynamik bietet einerseits breiten Raum, um in ihrem Rahmen neue Phänomene und praktische Anwendungen zu suchen. Andererseits stellt sich immer wieder die Frage nach ihren Grenzen, also ob auch neu entdeckte Phänomene durch sie erklärt werden können. In der Regel haben Theorien ihren Anfang in Teilgebieten der Physik, wie etwa der Elektro- und Ma- gnetostatik, und münden in eine umfassendere Theorie wie die Elektrodynamik. Die Gesamtheit aller physikalischen Theorien lässt uns – näherungsweise und noch lange nicht vollständig – verstehen, was „die Welt im Innersten zusammen- hält“. Diese Gesamtheit wird als Weltbild der Physik bezeichnet. Es entwickelt sich ständig weiter und wird vermutlich nie vollendet sein. An der Optik lässt sich beispielhaft der Entwicklungsprozess zeigen. Hier können nur einige wichtige Schritte skizziert werden. Die Entwicklung der Optik begann vor 400 Jahren als geometrische Optik mit der Erklärung von Lupe und Fernrohr durch J OHANNES K EPLER (1571–1630), wurde als Wellenoptik Teil der Elektrodynamik und führte schließlich ab dem Jahr 1900 zur Entwicklung der Quantenphysik. Der Franzose R ENÉ D ESCARTES (1596–1650), Erfinder der kartesischen Koordinaten, versuchte als Erster, das Brechungsgesetz zu erklären. Da er die Existenz eines leeren Raums, eines Vakuum, für unmöglich hielt, stellte er sich den Raum gefüllt mit einander berührenden Teilchen vor. Kraftübertragungen und die Ausbreitung von Licht sollten durch gegenseitige Stöße der Teilchen erfolgen. Auf dieser Basis deutete er zunächst die Reflexion des Lichts analog zum elasti- schen Rückspringen eines schräg auftreffenden Balls. Die zur Oberfläche parallele Geschwindigkeitskomponente bleibt unverändert, die Normalkomponente kehrt sich um. Für die Brechung behielt er die Konstanz der parallelen Komponente bei. Da im optisch dichteren Medium die Brechung zum Lot erfolgt, nahm er an, dass in optisch dichteren Medien die Lichtgeschwindigkeit größer ist als etwa in Luft. Es schien ihm plausibel, dass die Teilchenstöße umso schneller voranschreiten, je härter das Material ist. In heutiger Schreibweise lautet das Resultat von Descartes für die Brechungswinkel und Lichtgeschwindigkeiten in den Medien 1 und 2: sin α 1 _ sin α 2 = c 2 _ c 1 , leider falsch. Richtig wäre sin α 1 _ sin α 2 = c 1 _ c 2 Zum entgegengesetzten Ergebnis gelangte der französische Mathematiker P IERRE DE F ERMAT (1607–1665) im Jahr 1662. Wegen der Brechung zum Lot muss die Licht- geschwindigkeit im optisch dichteren Medium kleiner sein. Wie kann man dieselbe experimentelle Tatsache auf zwei konträre Weisen erklären? Zur Ableitung des Gesetzes nahm Fermat an, dass Licht von allen möglichen Licht- wegen den zeitlich kürzesten Weg nimmt – mathematisch gesehen eine Extrem- wertaufgabe. Diese Annahme heißt Fermat‘sches Prinzip. 84.1 Spiegelung des orangeroten Himmels nach Sonnenuntergang in Pfützen am Sand- strand. Leichter Wind kräuselt die Wasser- flächen und lässt sie glitzern. 84.2 Im Gemälde Sternennacht über der Rhone stellte der Maler V INCENT VAN G OGH die funkeln- den Sterne den Lampen am Ufer und ihren Spiegelungen an den Wellen des Flusses gegenüber. 84.3 Winzige Eiskristalle in der Luft brechen und bündeln die Sonnenstrahlen, so dass ein heller Ring, ein Halo (altgriechisch: Scheibe), um die Sonne sichtbar wird. Besonders stark kann der Effekt neben der Sonne (Nebenson- nen) oder über/unter der Sonne erscheinen. 84 THEORIEENTWICKLUNG Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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