Sexl Physik 7, Schulbuch

2.8 Verschränkung – das EPR-Experiment Im Jahre 1935 beschrieben E INSTEIN und seine Mitarbeiter Podolsky und Rosen ein Gedankenexperiment, das Schwierigkeiten mit der Interpretation der Quantenme- chanik aufzeigen sollte. Einstein betrachtete die quantenphysikalische Beschrei- bung der Welt als unvollständig. Im Jahre 1972 wurde das vorgeschlagene Experi- ment (EPR-Experiment, 103.1 ) erstmalig durchgeführt, 1998 wurde es von A NTON Z EILINGER und seinen Mitarbeitern an der Universität Innsbruck perfektioniert. ( 103.2 ) Im Innsbrucker Experiment wurden mittels Laser und einem doppelbre- chenden Kristall Paare von Photonen hergestellt. Jeweils ein Photon war horizon- tal, das andere vertikal polarisiert, doch welches der beiden Photonen horizontal polarisiert ist, ist unbekannt. Solche Photonenzustände werden verschränkte Zu- stände genannt. Die Photonen wurden in getrennte Glasfasern eingespeist, die zu 400m voneinander entfernten Messplätzen führten. Dort trafen sie vor dem Detek- tor auf je einen Analysator. Während der Flugzeit der Photonen wurden die Analy- sator-Stellungen zufällig verändert. Die Messungen erfolgten unabhängig vonein- ander an jedem der gleichzeitig erzeugten Photonen. Die Zeit, innerhalb der die Messungen an den Photonenpaaren erfolgten, hätte nicht gereicht, um eine Nach- richt zwischen den Messplätzen zu übertragen. Die nachträgliche Auswertung der Daten ergab eine völlige Bestätigung der Vorhersagen der Quantenphysik . Insbe- sondere bei gleichzeitiger Messung mit zufällig gewählten, jedoch um 90° gegen- einander gedrehten Analysator-Stellungen wurden – abgesehen von erklärbaren optischen Verlusten – Photonen paarweise registriert. Die Polarisationsrichtung der Photonen ist so lange unbestimmt, bis sie gemes- sen wird. Woher „weiß“ ein Photon, wie sich sein Partner bei einem weit entfernten Polarisa- tor „entschieden“ hat? Einstein hat diesen Effekt als „spukhafte Fernwirkung“ be- zeichnet, denn wie sollte das zweite Photon wissen, welche Polarisation das erste Photon bei der Messung hatte. Einstein konnte sich mit dieser Fernwirkung nicht abfinden. Die Quantenphysik sagt: Verschränkte Quantenobjekte haben so lange eine ge- meinsame Wellenfunktion und sind nicht voneinander unabhängig , als keine Stö- rungen durch die Umwelt diese Verschränkung aufheben. Im beschriebenen Expe- riment könnte die Störung durch schlechte Lichtleiter erfolgen, die zufällig die Polarisation von Photonen verändern. Dann würden sich die Photonen wie klassi- sche Teilchen verhalten und keine Korrelationen bei den Messungen zeigen. Die Verschränkung ist die Grundlage von weiterführenden Experimenten mit drei und mehr Photonen (Teleportation von Quanteneigenschaften). An Anwendungen der Quanten-Verschränkung auf Quantencomputer wird weltweit geforscht. Grund- lagenforschung zur Quantenphysik erfolgt in Österreich schwerpunktmäßig an den Universitäten in Innsbruck und Wien, einschließlich der TU Wien. Schrödingers Katze Mit einem Gedankenexperiment wollte Schrödinger 1935 auf Verständnisprobleme der Quantenphysik hinweisen. In einer Kiste befinden sich eine Katze und ein ra- dioaktives Atom, das mit 50%iger Wahrscheinlichkeit innerhalb einer Stunde zer- fällt, worauf eine Maschine die Katze tötet. Atom und Katze bilden wie polarisierte Photonenpaare ein verschränktes Quantensystem. Nach einer Stunde beschreibt die Wellenfunktion des Systems folgenden Zustand: Mit je 50%iger Wahrschein- lichkeit ist das Atom nicht zerfallen und die Katze lebt, bzw. das Atom ist zerfallen und die Katze ist tot. Entscheidet sich das Schicksal der Katze erst bei einer Mes- sung, beim Öffnen der Kiste? Wäre das nicht sonderbar? Eine vielfach akzeptierte Lösung sagt, dass makroskopische Objekte (Lebewesen) immer mit der Umwelt in Kontakt stehen und ihren Zustand z. B. durch Wär- mestrahlung anzeigen. Dadurch wird die Verschränkung Atom-Katze aufgehoben – dies wird als Dekohärenz bezeichnet. Die Entscheidung „Katze tot oder leben- dig“ fällt daher sofort. Es stellt sich nun die Frage, wo die Grenze zwischen mikro- und makroskopi- schen Objekten ist. Quelle y z x Analysator 1 Detektor 1 Analysator 2 Detektor 2 Apparat 1 Apparat 2 103.1 Schema: Das erste EPR-Experiment wurde 1972 durchgeführt. Eine Quelle mit an- geregten Calciumatomen sendet in entgegen gesetzte Richtungen jeweils zwei Photonen aus, deren Polarisationen verschränkt sind. Die Photonen werden hinter Analysatoren gleich- zeitig registriert. Die Wahrscheinlichkeit von Koinzidenzen hängt vom relativen Winkel zwischen den Analysatorrichtungen ab. Das Experiment ergab volle Übereinstimmung mit den quantenphysikalischen Vorhersagen. 103.2 Übereinstimmung zwischen erwarte- ter (Linie) und gemessener (•) Anzahl gleichzei- tig registrierter Photonen im EPR-Experiment von Anton Zeilinger (1998). Ebenfalls erfolg- reich war 2007 eine Wiederholung, bei der sich die Messplätze 140 km voneinander entfernt auf zwei Kanarischen Inseln befanden. 103.3 Ein anderes bahnbrechendes Experiment gelang R. Grimm 2003 in Innsbruck: Cäsium- Atome bilden bei Abkühlung auf etwa 10 –10 K einen neuen Materiezustand, das von Einstein 1924 vorhergesagte Bose-Einstein-Kondensat. 103.4 Schrödingers Katze: Schrödinger wollte mit dem Gedankenexperiment die Problematik aufzeigen, die bei der Anwendung quanten- mechanischer Gesetze auf die Makrowelt entsteht. Befindet sich Schrödingers Katze in einem Zustand zwischen Leben und Tod, bis der Behälter geöffnet wird? 103 | QUANTENPHYSIK Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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