Sexl Physik 7, Schulbuch

Einsperrung bedeutet Bewegung Wie ist im Rahmen des Wellenbildes die Stabilität der Atome zu verstehen? Warum können Elektronen im Atom nicht ihre gesamte Energie durch Abstrahlung elek- tromagnetischer Wellen verlieren und in den Kern stürzen? Ein sehr vereinfachtes Atommodell gibt eine Antwort darauf. Elektronen sind an den Atomkern gebunden. Das bedeutet: In einem Raumbereich vom Durchmesser Δ x = L um den Kern ist das Elektron mit Sicherheit anzutreffen, außerhalb nicht. Dieser Ortsunschärfe Δ x entspricht eine Impulsunschärfe Δ p . Das Elektron bewegt sich in alle Raumrichtungen, ohne die Kernumgebung verlassen zu können. Sein mittlerer Impuls ist daher Null. Der momentane Impuls p hat die Größenordnung der Impulsunschärfe Δ p . Für die kinetische Energie ergibt sich daher E kin = p 2 _ 2 m = ( Δ p) 2 _ 2 m = h 2 __ 2 m ( Δ x ) 2 = h 2 _ 2 mL 2 Daraus ergeben sich zwei Folgerungen: Je kleiner der verfügbare Raum L ist, desto größer ist gemäß der Unschärferelation die minimale kinetische Energie des Quantenobjekt ( 100.1 ). Die kinetische Energie des Elektrons kann in diesem einfachen Modell – und dies gilt allgemein – nicht Null werden. Anders als in der klassischen Physik können Quantenobjekte nie völlig zur Ruhe kommen. Sie haben sogar am absoluten Null- punkt der Temperatur Bewegungsenergie, die sog. Nullpunktsenergie . Der Tunneleffekt Mit der Quantenmechanik konnte der lange Zeit unverstandene α -Zerfall er- klärt werden. Beispielsweise zerfällt das Uranisotop U-238mit einer Halbwerts- zeit von ca. 4,5Mrd. Jahren in Thorium Th-234, wobei ein Helium-Kern emittiert wird. Warum zerfällt U-238 nicht sofort? Offensichtlich hält wie bei einem Trop- fen Wasser eine „Oberflächenspannung“ die Kernbestandteile zusammen. Wie viel Energie müsste man zur Abtrennung des α -Teilchens aufbringen? Streuex- perimente mit geladenen Teilchen ( α , Protonen) zeigen, dass etwa 40MeV auf den Kern übertragen werden müssen, um ein α -Teilchen heraus zu schlagen. Wie kann dieser große Energiebetrag im Uranzerfall vermieden werden? Wir können uns folgendes Bild machen ( 100.2 ): Im Urankern bilden zwei Pro- tonen und zwei Neutronen kurzzeitig ein α -Teilchen. Zwischen ihm und seinen Nachbarn im Kern wirken starke anziehende Kräfte (Kernkraft). Im Kerninne- ren kann sich das α -Teilchen frei bewegen, da es nur seine Nachbarn wechselt. Am Kernrand wirkt die Anziehung einseitig, das α -Teilchen wird zurückgehal- ten. Wenn sich das α -Teilchen allerdings weit genug von den restlichen anzie- henden Nukleonen entfernen kann, dann wirkt nur die elektrische Abstoßung zwischen dem positiven Restkern und dem α -Teilchen, und es fliegt davon. Dem α -Teilchen „hilft“ die Unschärferelation Δ E · Δ t ≈ h . Für die Zeitdauer Δ t kann seine Energie um den Betrag Δ E unbestimmt sein, es kann sich diesen Be- trag kurzfristig ausborgen. Wenn es in der Zeit Δ t den Anziehungsbereich des Kerns verlassen kann, wird es frei. Die benötigte Energie Δ E ist sehr groß, ent- sprechend klein ist die Zeit Δ t . Daher ist die Wahrscheinlichkeit eines erfolgrei- chen Fluchtversuchs sehr klein, entsprechend groß ist die Halbwertszeit. 100.3 illustriert diesen Tunneleffekt . Quantenobjekte können wegen des Tunneleffekts Barrieren überwinden, die für klassische Teilchen unüberwindbar sind. Der Tunneleffekt ermöglicht den α -Zerfall. Anwendung findet der Tunneleffekt im Rastertunnelmikroskop (RTM). Die Elektronenverteilung im Festkörper endet nicht abrupt an der Oberfläche, son- dern bildet über ihr eine Wolke. Daraus Elektronen freizusetzen, erfordert Ener- gie, die sog. Austrittsarbeit ( 90.2 ). Durch den Tunneleffekt wird dies umgan- gen. Nähert man eine Metallspitze einer leitenden Oberfläche (Metalle, C, Si) auf etwa 1 nm , fließt bei Anlegen einer Spannung im Millivoltbereich ein elektri- scher Strom, der Tunnelstrom. Seine Stärke (einige Nanoampere) hängt stark vom Abstand ab. ( 100.4 , s. S. 4). 1 2 E 1 E = E 2 1 4 E k x L 1 L 2 100.1 Das Quadrat der Wellenfunktion bei Einsperrung eines Quantenobjekts in Kästen verschiedener Größe (1, 2). Steht einem Quan- tenteilchen nur der halbe Raum zur Verfügung (2), vervierfacht sich seine Energie. Abstand Energie α -aktiver Kern Kernkraft elektrische Abstoßung 100.2 Im α -aktiven Kern bewegt sich ein α - Teilchen im Kraftfeld der restlichen Nukleonen. Am Rand wird es durch die Kernkraft zurückge- halten. Mit geringer Wahrscheinlichkeit kann es den Anziehungsbereich verlassen, es wird dann durch die elektrische Abstoßung wegge- schleudert. A B C D E 100.3 Der Tunneleffekt auf der Quanten -hochschaubahn. Obwohl der Wagen bei A wegfuhr und die Kuppe bei D nicht erreichen konnte, fährt er bei E die Rampe hinab. Es scheint, als hätte er das Stück CE in einem Tunnel zurückgelegt. Piezosteuerung Rückkopplung U x y z Probe Spitze Tunnelstrom Oberflächenstruktur Abstand L I T 100.4 Prinzip des Rastertunnelmikroskops (RTM). Die Spitze wird so gesteuert, dass ein konstanter Strom fließt. Aus der vertikalen Ver- schiebung der Spitze wird ein Höhenprofil der Oberfläche gewonnen. 100 QUANTENPHYSIK Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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