Physik Sexl 6 RG, Schulbuch

Einen weiteren Effekt hatte Einstein vorhergesagt: Die Existenz von Gravitationswellen. Es dauerte 100 Jahre, bis sie direkt nachgewiesen wurden. Was kann man sich unter Gravitationswellen vorstellen? Stellen wir uns ein Doppelsternsystem vor, d. h. zwei in ge- ringem Abstand einander umkreisende Sterne. Richtung und Stärke der Gravitationskraft ergeben sich nach dem Newton’schen Gravitationsgesetz durch vektorielle Addition der Gravitationskräfte der beiden Sterne. Wegen der Bewe- gung der Sterne ändert sich die Gravitationskraft in jedem Punkt des Raumes ständig. Laut Newton müsste sich diese Änderung sofort und ohne Verzögerung auf beliebig weit entfernte Körper auswirken. Denken wir nun nicht in Newton’schen Kraftvorstellungen, sondern in der Einstein‘schen Vorstellung des verzerrten Raums. Die Raumverzerrung durch das Doppelsternsystem ist nahe an den Sternen maximal und klingt mit der Entfer- nung ab. Wegen der Bewegung der Sterne ändert sie sich zeitlich. Wie ein ins Wasser geworfener Stein eine sich aus- breitende Welle erzeugt, breitet sich die Raumverzerrung als Welle mit Lichtgeschwindigkeit aus. Der Raum wird quer zur Ausbreitungsrichtung abwechselnd gedehnt und gestaucht. ( 5.2 ) Dadurch ändern sich Abstände – aller- dings so gering, dass gezweifelt wurde, ob man dies jemals messen kann: Ein Meterstab würde sich um etwa ein Milli- onstel eines Atomkerndurchmessers ändern. LIGO – ein Observatorium für Gravitationswellen Das Laser-Interferometer-Gravitationswellen-Observatori- um LIGO ist ein Musterbeispiel eines langfristigen wissen- 5.2 Dehnung und Streckung des Raumes durch eine senkrecht zur Zeichenebene laufende Gravitationswelle, veranschaulicht durch ringförmig angeordnete kräftefreie Teilchen. schaftlichen Megaprojekts. 25 Jahre Planung und Entwick- lung waren notwendig, um ein Gerät zu bauen, das die erwarteten kleinen Effekte verlässlich messen kann. Feder- führend sind Wissenschafter in den USA, unterstützt durch Forscherteams weltweit. Mehr als 1000 Forscher arbeiten mit. LIGO besteht aus zwei identischen Labors, eines im Nord- westen der USA und ein zweites 3000 km entfernt im Süd- osten ( 5.3 ). Als Detektor für Gravitationswellen dient in jedem Labor ein Laserinterferometer mit zwei je 4 km lan- gen Armen. Wenn eine Gravitationswelle auf den Detektor trifft, werden die Arme unterschiedlich gedehnt bzw. ge- staucht. Im Interferometer ( 5.4 ) wird ein Lichtstrahl mit einem halbdurchlässigen Spiegel in zwei Teilstrahlen zerlegt, die getrennte Wege durchlaufen und nach Reflexion an Spie- geln wieder zusammengeführt werden. Dabei kommt es je nach dem Unterschied der Lichtwege zur vollständigen oder teilweisen Auslöschung des Lichtstrahls. (s. Wellen, Überla- gerung). Aus der Stärke des Signals im Detektor lassen sich Längenänderungen der Lichtwege um Bruchteile der Licht- wellenlänge bestimmen. Die Laserstrahlen laufen in Vakuumröhren, aufwändig ist die Isolation der Spiegel gegen Bodenerschütterungen. Mit einem Trick wird der Lichtweg in jedem Teilstrahl verlän- gert: Durch vielfache Reflexion zwischen dem Spiegel am Ende und einem zusätzlichen Spiegel nahe am Strahlteiler durchläuft das Licht einen Weg von 2 200 km von der Licht- quelle bis zum Detektor. 5.1 Computersimulation: Ein rotierendes Doppelsternsystem lässt die Raum-Zeit schwingen und erzeugt Gravitationswellen, die sich im Raum mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Dabei wird Energie abgestrahlt. 5.3 Luftbild des LIGO-Labors in Louisiana, USA. Die Arme des Inter- ferometers befinden sich in 4 km langen Vakuumröhren, die im rechten Winkel vom Laborgebäude (Laser, Detektor) ausgehen. Spiegel Spiegel halbdurchlässiger Spiegel Detektor Lichtquelle mit kohärentem Licht 5.4 Prinzip des Inter- ferometers: Licht wird an einem halbdurch- lässigen Spiegel in zwei Teilstrahlen zerlegt. Die reflektierten Teil- strahlen interferieren. Das Signal im Detektor zeigt dadurch Änderun- gen der Lichtwege an. 5 | Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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