Big Bang 7, Schulbuch

96 RG 7.2 G 7.2 Kompetenzbereich Theorienentwicklung In der Praxis ist es unmöglich, immer exakt gleiche Bedin- gungen zu schaffen. Nehmen wir eine Teekanne. Du kannst diese niemals exakt gleich hoch heben und exakt gleich stark neigen, also auf unendlich viele Kommastellen genau. Trotzdem wirst du mit dem Tee in die Tasse treffen, weil sich diese kleinen Änderungen kaum auswirken (Abb. 37.4). Man spricht in diesem Fall vom starken Kausalitätsprinzip: Ähnli- che Bedingungen führen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Welt verhält sich glücklicherweise in vielen Fällen so – zumindest kurzfristig. Abb. 37.4: Kleine Änderungen der Bedingungen führen meistens trotz- dem zu ähnlichen Ergebnissen. Das nennt man das starke Kausalitätsprinzip (siehe auch Abb. 37.3 b, S. 95). Es gibt aber Situationen, in denen dieses Prinzip nicht gilt. Dann können minimale Änderungen sehr große Auswirkun- gen haben. Wenn du zum Beispiel versuchst, eine Münze im- mer exakt senkrecht fallen zu lassen, wird sie trotzdem im Schnitt vieler Versuche gleich oft auf beiden Seiten landen ( F2 ; siehe auch Abb. 37 c, S. 95). Es genügt schon ein Bruchteil eines Bruchteils eines Millimeters, und die Münze fällt auf die andere Seite. In solchen Fällen spricht man all- gemein vom schwachen Kausalitätsprinzip: Ähnliche Bedin- gungen führen zu stark unterschiedlichen Ergebnissen. Abb. 37.5: Weitere Beispiele für das starke (links) und das schwache Kausalitätsprinzip (rechts) In diesem Fall sind Vorhersagen über den Ausgang eines Ereignisses unmöglich – sonst würdest du beim Glückspiel viel Geld gewinnen! Das schwache Kausalitätsprinzip ist die Grundlage der sogenannten chaotischen Systeme (siehe Tab. 37.1 und Abb. 37.5). Auf lange Sicht verhält sich das ganze Universum – zumindest in gewissen Bereichen – chaotisch. Chaosforschung ist somit ein Querschnittsthema: Sie spielt beim Wetter, in der Astronomie, aber auch bei Strömungen oder in der Ökologie eine Rolle. Info: Laplace und sein Dämon Info: Zeitreisen -> S. 97 Ab etwa 1960 kamen die Physiker zur Erkenntnis, dass auf Grund kleinster Abweichungen der Ausgangsbedingungen auch scheinbar einfache und überschaubare Systeme lang- fristig nicht vorhersagbares Verhalten zeigen können (siehe Kap. 37.2). Das hat zu einer neuen Sichtweise der Physik ge- führt. In den folgenden Abschnitten geht es um einige prominente Beispiele für chaotische Systeme. Starkes Kausalitätsprinzip nicht-chaotische Systeme schwaches Kausalitätsprinzip chaotische Systeme Kleine Änderungen der Bedingun- gen führen zu ähnlichen Ergebnissen. Kleine Änderungen der Bedingungen führen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In beiden Fällen gilt aber: Unter exakt gleichen Bedingungen würde die kausale Kette exakt gleich ablaufen. Beispiele: Schulweg, Eingießen von Tee (Abb. 37.4), Lenken eines Autos, Ball in einer Rinne und Reflexion an ebenen Objekten (Abb. 37.5 links), Flugbahn eines Balls Beispiele: Werfen einer Münze, Flugbahn eines Luftballons mit ausströmender Luft, Ball auf Treppe und Reflexion an ge- krümmten Objekten (Abb. 37.5 rechts) Tab. 37.1: Gegenüberstellung von starkem und schwachem Kausalitätsprinzip Laplace und sein Dämon Welche Chance hätte der Laplace’sche Dämon, Zukunft und Vergangenheit des Universums zu berechnen ( F1 )? Ob er dazu in der Lage wäre, wenn er außerhalb der Naturgesetze stehen würde, ist eine Frage für Philosophie und Theologie. Im Rahmen der Naturgesetze hätte er aber keine Chance. Von Seiten der modernen Physik gibt es nämlich drei grund- sätzliche Einwände: 1) Nach der Relativitätstheorie („Big Bang 8“) kann sich In- formation maximal mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Deshalb sind die Informationen, die der Dämon sammeln kann, nicht aktuell. Es kennt also den momentanen Zustand des Universums nicht. 2) Im Bereich der Quanten sind nur Wahrscheinlichkeitsaus- sagen möglich. Der Dämon kann nicht im Vorhinein wissen, wann ein bestimmtes radioaktives Teilchen zerfällt. Außer- dem verbietet es die Unschärferelation, alle Quantenmerk- male gleichzeitig exakt zu bestimmen (Kap. 33.6, S. 62). 3) Und schließlich würde das schwache Kausalitätsprinzip (Abb. 37.3 c, S. 95) den Dämon vor eine unlösbare Aufgabe stellen. Denn es ist unmöglich, unendlich genau zu messen (siehe auch Punkt 2). Durch das chaotische Verhalten des Universums wirken sich aber winzige Änderungen der Aus- gangssituation später einmal sehr drastisch aus. i Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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