global 8. Geographie und Wirtschaftskunde, Schulbuch

71 Politische und ökonomische Systeme vergleichen Frauenprojekte In beiden Fällen erzielen Frauenprojekte eine enorme Wir- kung, die letztendlich auch der Familie und der Gesellschaft als Ganzes zu Gute kommt. Durfte zB die Großmutter nicht einmal das Haus verlassen, ist es der Enkeltochter heute möglich, in die Schule zu gehen und eine Karriere als Ärztin anzustreben. Auch die Organisation „Menschen für Men- schen“ bestätigt den „Social Return on Investment“ von Frauenprojekten – aus schüchternen Mädchen werden selbstbewusste Frauen, die aktiv für ihre Interessen in einer Gemeinde eintreten. Häufig sehen auch deren Männer diese Entwicklung positiv, da sie nun nicht mehr allein die Hauptlast für die Ernährung der Familie tragen müssen, und unterstützen sie zB bei der Eröffnung eines kleinen Geschäftes. Natürlich gibt es auch moderne afrikanische Frauen in den Städten – die Frauen von heute sind die „Role Models“ von morgen. Entführt, verlobt, verheiratet In Äthiopien werden viele Mädchen entführt, vergewaltigt und in Kinderehen gezwungen. Ohne Familienplanung bekommen junge Frauen so viele Kinder, dass ihr Lebens- weg in Armut vorgezeichnet ist. „Menschen für Menschen“ wendet sich gegen die Gewalt an Mädchen und Frauen und stärkt ihre Position nachhaltig. Tadeletsch war 15 Jahre alt, als sie überfallen wurde. Sie war auf dem Heimweg vom Markt, als sich ihr eine Grup- pe Männer in den Weg stellte. Einen von ihnen kannte sie: Der junge Mann hatte ihre Eltern besucht und gefragt, ob sie ihm das Mädchen zur Frau geben wollten. Die Eltern hatten abgelehnt. Nun holt er sich Tadeletsch mit Gewalt: Seine Freunde schleppten sie in eine Hütte, dort vergewal- tigte er sie. Damit galt sie der Tradition nach als entehrt – außer sie heiratete den Vergewaltiger. Die Eltern stimm- ten nun der Heirat zu. „Zuerst weinte ich und war sehr wütend, aber dann akzeptierte ich die Heirat als Gottes Wille“, erinnert sich Tadeletsch. Bald bekam sie ihren ers- ten Sohn; fünf weitere Kinder folgten in kurzen Abstän- den. In manchen Landesteilen Äthiopiens hat jede 10. verheira- tete Frau dasselbe Schicksal wie Tadeletsch; nach aktuel- len Studien laut ODI (Overseas Development Institute) gaben 50% der befragten Frauen an, bereits mit 16 Jahren verheiratet gewesen zu sein. Zwar haben die Behörden Erfolge mit der Kampagne gegen Kinderehen, aber immer noch heiraten vor allem Töchter der besonders armen Familien als Minderjährige, da ihre Eltern oft gern zustim- men, um einen Esser weniger im Haus zu haben oder eine Brautgabe zu bekommen. Neben Armut spielen aber auch soziale Normen eine wichtige Rolle: Frauen sollen unbe- rührt in die Ehe gehen, und so wird laut einer ODI-Studie die Kinderehe weiterhin als bester Weg gesehen, die Ehre der Mädchen – und damit der Familie – zu bewahren. Familien und Dorfgemeinschaften müssen besser verste- hen, wie schädlich manche Traditionen für Mädchen sind, und gleichzeitig brauchen die Mädchen und die armen Familien echte Alternativen zur Kinderehe – nämlich Bil- dung und Einkommensmöglichkeiten. Der Stiftungsgrün- der von „Menschen für Menschen“, Karlheinz Böhm, setzte sich bereits vor 20 Jahren für diese Ziele in Äthiopien ein. Seine Organisation bietet zB in Abaya, einem der ärmsten Distrikte des Landes, ganz bewusst nur den Bäuerinnen Kleinkredite an. Mit dem Geld erwerben die Frauen dann Saatgut oder Mastochsen oder haben damit ein Startkapi- tal für Kaffee- und Getreidehandel. Wer sein eigenes Geld verdient, gewinnt an Selbstbestimmung. Tadeletsch geht nach 15 Jahren „Zwangspause“ nun wie- der zur Schule, in der ihr 16-jähriger Sohn bereits die 10. Klasse besucht! Wegen der Heirat musste sie ihre Schulbildung aufgeben, aber nun holt sie das Versäumte nach. Neben dem Unterricht engagiert sie sich noch im „Schulclub für öffentliche Gesundheit“, initiiert von „Men- schen für Menschen“: Sie klärt über Verhütungsmethoden auf, sagt, dass zu viele Kinder ein Armutsgrund für Famili- en sein können und fordert die Mitschülerinnen auf, sich gegen eine frühe Heirat zu wehren. Mit zitternder Stimme erzählt sie ihre eigene Geschichte: „Es ist illegal, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu verheiraten. Nur, wenn ihr eure Schulbildung abschließt, könnt ihr ein gutes Le- ben ohne Armut erreichen.“ (Stiftung „Menschen für Menschen“, 24.11. 2017, https:// www.menschenfuermenschen.ch/gegen-gewalt-an-frauen- entfuehrt-verheiratet/, abgerufen am 11. 4. 2018) M2 Frauenschicksal 1 Arbeiten Sie aus M1 die Schwerpunkte der österreichi- schen Entwicklungszusammenarbeit sowie die Partner- länder heraus. 2 Nennen Sie drei konkrete Möglichkeiten der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit zwischen zwei Staaten. 3 Erklären Sie den Begriff „Social Return on Investment“ im Zusammenhang mit Frauenprojekten in der Dritten Welt. 4 Analysieren Sie die sozioökonomischen Hintergründe der so genannten „Kinderheirat“ in Äthiopien am Bei- spiel der Lebensgeschichte von Tadeletsch. 5 „Wer sein eigenes Geld verdient, gewinnt an Selbst­ bestimmung“. Bewerten Sie diese Aussage und erklären Sie, weshalb dies vor allem für Frauen in der Dritten Welt so wesentlich ist. " " { { } Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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