global 7. Geographie und Wirtschaftskunde, Schulbuch
38 Fallbeispiel Seit ihrer Einführung im Jahr 2010 sorgt die Bedarfsorien- tierte Mindestsicherung immer wieder für Diskussionen in der Öffentlichkeit. Wer soll die Mindestsicherung erhalten? Wie hoch sollen ihre Leistungen sein? An welche Bedingun- gen sollen diese geknüpft sein? usw. Zuletzt wurden Höhe und Kriterien der Vergabe der Mindestsicherung im Zusam- menhang mit den Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 von den einen scharf kritisiert, von den anderen wiederum vehement verteidigt. In diesem Kapitel soll(en) wesentliche Fragen rund um die Mindestsicherung geklärt und damit Licht ins Dunkel gebracht werden. Was ist die Bedarfsorientierte soziale Mindest- sicherung? Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist ein Maßnah- menpaket der österreichischen Bundesregierung zur Be- kämpfung der Armut . Zu ihren wichtigsten Inhalten zählen • die Ablöse der ehemaligen Sozialhilfe, • eine bessere Anbindung der Leistungsbezieherinnen und -bezieher an den Arbeitsmarkt, • der Einbezug von Leistungsbezieherinnen und -bezieher in die gesetzliche Krankenversicherung sowie • der Ausbau mindestsichernder Elemente im Arbeitslosen- versicherungsgesetz. Warum wurde die Mindestsicherung eingeführt? Das bis 2010 bestehende System der Sozialhilfe wurde in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich ge- handhabt. Ziel der Mindestsicherung war es, einheitliche Standards in wichtigen Kernbereichen (zB gemeinsame Leistungsuntergrenzen, höhere Leistungen für Alleinerzie- hende, Anreize für Wiedereinsteigerinnen und Wiederein- steiger am Arbeitsmarkt, E-Cards für alle, …) zu schaffen. Diese ursprünglichen Absichten konnten leider nicht län- gerfristig aufrechterhalten werden. Da die gemeinsamen Bestimmungen zur Mindestsicherung Ende 2016 ausgelau- fen sind und sich Bund und Länder auf keine einheitliche weitere Vorgehensweise einigen konnten, wenden die ein- zelnen Bundesländer (die Mindestsicherung ist Ländersa- che) seit Anfang 2017 zum Teil unterschiedliche Richtsätze für die Leistungen der Mindestsicherung an. Wer hat Anspruch auf die Leistungen der Mindest- sicherung? Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung wird ausschließ- lich jenen Personen gewährt, die sich in einer finanziellen Notlage befinden (eigene Ersparnisse dürfen 4188,80 Euro – Stand 2016 – nicht übersteigen) und den eigenen Bedarf bzw. den ihrer Angehörigen nicht ausreichend decken kön- nen. Eine Voraussetzung für den Erhalt ist außerdem die Arbeitsbereitschaft von arbeitsfähigen Personen. Können auch ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Mindestsicherung beziehen? Für ausländische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gilt: EU-Bürgerinnen und -Bürger haben als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich Anspruch auf Mindestsi- cherung, ebenso wie Drittstaatenangehörige (zB Türkinnen und Türken), die bereits länger als fünf Jahre in Österreich leben und arbeiten, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte (= Personen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, aber deren Gesundheit oder Leben im Herkunfts- land bedroht ist). Keinen Anspruch haben hingegen EU- Bürgerinnen und -Bürger ohne Arbeitsplatz in Österreich und Asylwerberinnen und -werber. Wie hoch sind die Leistungen aus der Mindest- sicherung? Seit dem Jahr 2017 gelten in den einzelnen Bundesländern eigene Richtlinien, was eine zusammenfassende Darstel- lung erschwert. Zur Orientierung werden nachfolgend die Richtsätze für die Leistungen der Mindestsicherung (12 x pro Jahr) abgebildet, die bis 2016 in allen Bundesländern zur Anwendung kamen: • Für Alleinunterstützte und Alleinerziehende betrug die Mindestsicherung insgesamt Euro 837,76 (setzt sich zusammen aus: Grundbetrag Euro 628,32 und Wohnkos- tenanteil Euro 209,44). • Paare erhielten Euro 1 256,64 (= das 1,5-fache von Allein- unterstützten). • Für Kinder wurden jeweils mindestens Euro 150,80 gewährt. Einkommen, Arbeitslosengeld sowie Unterhaltszahlungen werden jeweils angerechnet und reduzieren den Anspruch. Die Mindestsicherung kann – je nach Bundesland – in Ge- meindeämtern, Bezirkshauptmannschaften und Magistrats- ämtern sowie beim AMS beantragt werden. Was sind die häufigsten Vorurteile in Bezug auf die Mindestsicherung? • „Da geht ja keiner mehr arbeiten.“ Die maximale Leistungshöhe wird nur selten ausbezahlt, da meist weitere Bezüge wie Einkommen, Familienbeihil- fe usw. vorhanden sind. Selbst wenn diese nicht vorhan- den sind, liegt das Einkommen aus Arbeit üblicherweise höher und erhöht sich zusätzlich durch die Sonderzahlun- gen. • „Die Bezieherinnen und Bezieher machen es sich in der sozialen Hängematte bequem.“ Die Mindestsicherung ist nur als Überbrückung gedacht. Eine zumutbare Erwerbsarbeit muss angenommen wer- den, sonst drohen Kürzungen oder ihre Streichung. Stu- dien belegen aber, dass es einem nicht kleinen Teil der Kompetenzorientiertes Lernziel Besonderheiten der österreichischen Wirtschafts- und Sozialpolitik darstellen Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung – Auffangnetz oder soziale Hängematte? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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