global 6. Geographie und Wirtschaftskunde, Schulbuch

64 Fallbeispiel Kompetenzorientierte Lernziele Regionalentwicklung am Beispiel eines ehemaligen Industriegebiets analysieren und kritisch betrachten Diagramme interpretieren Zukunftschancen eines Wirtschaftsstandortes bewerten Vom Rostgürtel zu Start-Ups Rostgürtel Schlesien Der Rostgürtel bezeichnet ein Gebiet in Polen, Ostdeutsch- land und Tschechien, das sich seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vor allem durch den Abbau von Kohle und die Produktion von Stahl zu einem wichtigen Industriege- biet entwickelt und der Region einen großen Aufschwung bereitet hat. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bedeutung dieser Region durch einen Strukturwandel stark verändert. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und damit dem Ende der kommunistischen Ära 1989 vollzog sich ein grundlegen- der Wandel. Die polnische Wirtschaft veränderte sich durch den Abbau industrieller Strukturen und die Reduzierung der landwirtschaftlichen Nutzung sowie die zunehmende Privatisierung der Unternehmen stark. Der Rückgang der Nachfrage nach Kohle und Stahl führte zur Schließung zahlreicher Steinkohlebergwerke und Stahlwerke in Ober- schlesien. Dieser Transformationsprozess führte zu steigen- der Arbeitslosigkeit und Kriminalität, Städte schrumpften und verloren mit dem Rückgang der schwerindustriellen Tradition ihre Identität. Vom „alten“ zum „neuen“ Polen Seit der Wende haben sich im ehemaligen Rostgürtel zahl- reiche private Unternehmerinnen und Unternehmer mit Klein- und Mittelbetrieben angesiedelt. Außerdem haben viele internationale Konzerne, vor allem aus modernen Industriebranchen wie dem Flugzeug- und Automobilbau, ihre Produktionsstätten nach Polen verlagert. Auch im Dienstleistungssektor spielt das ehemalige Indus- triegebiet eine bedeutsame Rolle. Viele Unternehmen, vor allem aus der IT-Branche, haben den Standort für die Aus- lagerung von Geschäftsprozessen für sich entdeckt. Dort entstehen neue Forschungs- und Entwicklungszentren, die Schlesien zu einem vermehrt wissensbasierten Wirtschafts- standort machen.Diese Entwicklungen haben zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen und der Region zu neuem Auf- schwung verholfen. Was aber führte dazu, dass die ehemals schwerindustriell geprägte Region wieder an wirtschaftli- cher Attraktivität gewann? In der Region um die oberschlesische Stadt Gliwice wurde 1996 eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet, in der aus- ländische Investorinnen und Investoren rechtlich und admi- nistrativ begünstigt wurden. Unternehmen, die sich dort ansiedelten, mussten keine Steuern zahlen. Obwohl diese Steuerfreiheit mit dem Beitritt Polens zur EU abgeschafft werden musste, blieben zahlreiche Investoren, wie etwa General Motors, die durch die steuerlichen Begünstigungen und niedrigen Lohnkosten angelockt wurden, in der Region. Seit Errichtung der Zone wurden 5,2 Milliarden Euro inves- tiert und 53 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Mit Unterstützung durch die Europäische Union wurden außerdem Gründerzentren errichtet, die kostengünstige Büroflächen, Geschäftsräume, Beratungsdienste sowie Forschungs- und Produktionsstätten für Unternehmerinnen und Unternehmer zur Verfügung stellen. Diese Impulse haben den Anreiz zur Gründung zahlreicher Start-Ups (M1) geschaffen, die der Region zusätzliche wirtschaftliche Be- deutung verleihen. Vor allem die Branchen Informations- technologie, Softwareentwicklung, Computersicherheit, Biotechnologie und Robotertechnik boomen bei diesen jungen Unternehmen. Start-Up Start-Ups bezeichnen junge, neu gegründete Unterneh- men, die auf einer innovativen Idee basieren. Zur Umset- zung stehen meist nur geringe finanzielle Mittel zur Verfügung, sodass sie auf Fremdkapital angewiesen sind. Start-Ups boomen vor allem in den Branchen Soft- ware-Entwicklung und Onlinehandel. Die Internet-Anbie- ter Amazon und Zalando sind Beispiele international erfolgreicher Unternehmen, die als Start-Ups gegründet wurden. M1 Was ist ein Start-Up? Neue Start-Ups entstehen im polnischen Silicon Valley Nachhaltigkeit ist ein Stichwort, das die Strategie der Regionalentwicklung treffend bezeichnet. Die Erfahrung aus der Vergangenheit lehrt nämlich, dass eine vollkom- mene Abhängigkeit von einem Industriezweig nicht ein Zukunftsmodell sein kann. So entwickelt sich die Region um Gliwice neben der Automobilbranche stetig zu einem wichtigen Logistikknotenpunkt. Nicht zuletzt durch den Ausbau der Autobahn A4, die viele wichtige Städte von West nach Ost verbindet, sowie A1, die Norden und Süden zusammenführt. Auch das 2011 gegründete Slaski Klaster Logistyczny (der Schlesische Logistik Cluster) trägt zu dieser Position bei. Es versteht sich als ein neues Forum – damit wird ein Spagat zwischen Firmen und Institutionen geschlagen. Aber die Revitalisierungsvorhaben erschöp- fen sich nicht nur auf dem wirtschaftlichen Gebiet. Mit dem Bau des Zentrums Nowe Gliwice, das rund 24 Millio- nen Euro kostete, wird ein Konzept verfolgt, mit dem auch die einstige Textilmetropole Łódz erfolgreich leerstehende Industrie-Areale mit Sinn füllt: ehemalige Gebäude des Bergwerks „Gliwice“ dienen nun als Bildungs- und Ge- schäftszentren. Die ansässigen Technologie- sowie Busi- nessparks bieten jungen Absolventen der Technischen Universität Gliwice Platz für neue Ideen. Was einst als das Symbol der Schwerindustrie des 19. und 20. Jahrhunderts galt, sind es heute Orte des 21. Jahrhun- derts, da, wo die Technologie von morgen entwickelt wird. (http://www.polen-pl.eu/gliwice-von-der-braunkohle-zu- start-ups-eine-stadt-im-wandel/, Katharina Lindt, 4. 5. 2015, abgerufen am 7.12. 2016) M2 Von der Kohle zu Start-Ups Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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