global 5. Geographie und Wirtschaftskunde, Schulbuch

72 Fallbeispiel Ein-Kind-Politik Nach 1949 begann in China ein explosionsartiges Bevölke- rungswachstum. Um dem entgegenzuwirken, führte die chinesische Regierung 1979/80 die Ein-Kind-Politik ein. Durch diese Maßnahme sollten Hungersnöte verhindert und wirtschaftlicher Fortschritt ermöglicht werden. Paare, die sich nicht an diese Bestimmung hielten, wurden mit hohen Geldstrafen belegt, es sind auch zahlreiche Fälle über erzwungene Schwangerschaftsabbrüche und Zwangs- sterilisationen bekannt. Die Ein-Kind-Politik konnte jedoch nur in den Städten weitgehend durchgesetzt werden. In den ländlichen Gebieten gab es rasch die Ausnahmerege- lung, dass Bauernfamilien ein zweites Kind haben durften, wenn das erste Kind ein Mädchen war. Nach Angaben der chinesischen Regierung konnte die Zahl der Geburten zwi- schen 1994 und 2004 um 300 Millionen verringert werden. Das eigentliche Ziel dieser Politik, nämlich die Bevölke- rungszahl Chinas auf maximal 1,2 Milliarden Menschen zu beschränken, wurde dennoch verfehlt. Mehr oder weniger Kinder? Kompetenzorientierte Lernziele  Auswirkungen staatlicher Familienplanungen erklären  Altersaufbaudiagramme und Grafiken interpretieren Lockerung der Ein-Kind-Politik Ende 2013 gab es eine Lockerung der Ein-Kind-Politik. Seit- her dürfen Paare zwei Kinder bekommen, wenn mindestens ein Elternteil selbst Einzelkind war. Bisher hat diese Locke- rung jedoch noch zu keinem nennenswerten Anstieg der Geburtenrate geführt (M3). Laut Aussage von Ministerpräsi- dent Li Keqiang erwägt die Regierung derzeit eine weitere Lockerung. Folgen der Ein-Kind-Politik Das bekannteste Problem ist die Entstehung einer Genera- tion von Einzelkindern – „kleine Kaiser“ genannt. Die Kinder werden von den Eltern und Großeltern über die Maßen verwöhnt und entwickeln so relativ wenig Sozialkompe- tenz. Ob ein Zusammenhang zwischen der Ein-Kind-Politik und dem rasanten Anstieg der Zahl fettleibiger Kinder in China besteht, ist derzeit noch nicht ausreichend überprüft. Ein weiterer Punkt ist die Überalterung der Gesellschaft (M1 und M2). Chinas Altersaufbau verändert sich schneller als in jedem anderen Land. Derzeit sind etwa 15% der Chi- nesinnen und Chinesen älter als 60 Jahre. Da auch in China die Lebenserwartung steigt, bedeutet dies eine enorme Herausforderung für die Gesundheitsversorgung und das schwach entwickelte Pensionssystem, da, wie bisher tradi­ tionell üblich, die Kinder als Altersvorsorge ausfallen. Männliche Nachkommen bevorzugt Die Verbindung der konfuzianischen Tradition, männlichen Nachwuchs zu bevorzugen, mit der Ein-Kind-Politik hat zu einem deutlichen Ungleichgewicht zwischen den Geburten- zahlen von Mädchen und Buben geführt. So kommen in China auf 1133 neugeborene Buben 1 000 Mädchen, in man- chen Regionen sind es gar 1 300 Buben auf 1 000 Mädchen. Kulturell bedingt werden Söhne als Stütze und Erben ange- sehen, Töchter hingegen als Armutsrisiko. Gezielte Abtrei- bung oder Kindstötung von Mädchen ist keine Seltenheit. Oft werden neugeborene Mädchen auch in Waisenhäusern abgegeben. Viele dieser Mädchen werden von ausländi- schen Paaren adoptiert. Für Männer im heiratsfähigen Alter gibt es nicht annähernd genügend mögliche Partnerinnen. Schon jetzt exisitiert ein reger Handel mit Frauen aus ganz Südost- und Ostasien. Nach Schätzungen werden jährlich etwa 200 000 Frauen nach China entführt. 80+ 75 79 70 74 65 69 60 64 55 59 50 54 45 49 40 44 35 39 30 34 25 29 20 24 15 19 5 9 0 4 10 14 China Alter 2050 2015 10 6 8 42 4 2 68 10 0 % Population 10 6 8 42 4 2 68 10 0 M1 Altersaufbau in China 2000 und 2050 400 200 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 600 800 Alter 0–19 Alter 65+ Mio 0 Alter 20–64 M2 Bevölkerung Chinas nach Altersgruppen in Mio. Chinas Ende der Ein-Kind-Politik kommt zu spät (…) Das Bildungsniveau ist stark gestiegen, und die Frauen der neuen Mittelschicht wollen häufig nicht allein Mutter und Hausfrau sein. Hinzu kommen die immensen Kosten für den Nachwuchs. Auch ohne Straf- zahlungen ist ein zweites Kind für viele Chinesen der Mittelschicht schlicht zu teuer. Der Lebensunterhalt in den Metropolen steigt stetig. Um den Standard halten zu können, müssen meist beide Elternteile arbeiten gehen. Auch die Kinderbetreuung bleibt oft Sache der Familien. (https://www.welt.de/debatte/kommentare/artic- le148284645/Chinas-Ende-der-Ein-Kind-Politik-kommt-zu- spaet.html, Sonja Gillert, 1.11. 2015, abgerufen am 15. 9. 2016) M3 Warum die Lockerung der Ein-Kind-Politik nicht greift Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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