sprachreif 4, Band für Lehrerinnen und Lehrer

51 Raoul und seine Verlobte spielen gerne die selbst kreierten Spiele Wo ich niemals leben möchte bzw. Wo ich niemals ster- ben möchte . Am Tag des Geschehens der Kurzgeschichte haben sie sich ausgemacht, an einen Ort, der sowohl im ersten als auch im zweiten Spiel eine Rolle spielen könnte, zu besuchen, und fahren nach Rothneusiedl, wo es einen pyramidenförmigen Wohnbau gibt, der aussieht, „als habe man die Balkone drange- schraubt“ und der laut Raoul ein „beliebter Hot Spot für Selbst- mörder“ sei, da man aufgrund der Bauweise Anlauf nehmen müsse, um hinunterspringen zu können. Die Ich-Erzählerin ist skeptisch, glaubt ihm aber, da sie beide im Juni heiraten wer- den und im Ehevorbereitungskurs vom Priester gelernt hätten, dass Ehe Vertrauen bedeute. HAUPTTEIL: Inhalt wird dargestellt inhaltliche Aspekte werden mit Zitaten aus dem Text belegt  Konjunktiv, durch Anführungszeichen kennzeichnen interpretatorische Ansätze Am Wohnbau angekommen, wählen die beiden AusflüglerInnen nach dem Zufallsprinzip aus, bei einer Dame namens Gundula Jesovsky anzuläuten und sich ihr als zwei StudentInnen des Dekanats für Hochhauspsychologie der Uni Wien vorzustellen. Die im 17. Stock lebende „kleine und schrumpelige“ Fr. Jesovsky lässt die beiden – aus Ehrfurcht vor AkademikerInnen – be- reitwillig in ihre Wohnung, in der es nach nasser Wolle riecht, und bietet ihnen Zirbenschnaps an. Sie scheint sich über den Besuch zu freuen, da sie meint, sie gehe nicht oft hinaus, da ja dort so viel passieren könne und sie Angst habe, dass der Lift steckenbleibe. Weiters erzählt sie den beiden, dass sie früher gerne ins Theater gegangen sei, nach Schönbrunn und vor allem in die Oper. Während dieser Erzählungen trinkt die Ich-Er- zählerin schnell ihren Schnaps aus und macht sich, ihr Spie- gelbild betrachtend, Gedanken über das Älterwerden. Ebenso denkt sie an ihrer beider Spiel und dass es sich an diesem Ort sehr wohl „gut sterben ließe“, mit Blick auf den Donauturm, das AKH und das Riesenrad. Während Raoul auf die Toilette geht, beginnt sie, Fr. Jesovsky zu befragen, wobei ihr aber nicht ganz wohl ist. Während sie erzählt, dass sie ihre NachbarInnen nicht wirklich kenne, da diese so häufig wechseln würden, erinnert die Ich-Erzählerin sich an das gemeinsame Einschlafritual mit ihrem Verlobten, bei dem er ihre Füße reibt und sie so wärmt. Fr. Jesovsky plaudert aus dem Nähkästchen und meint, sie habe sich für den 17. Stock entschieden, damit der Herr, ein Kruzifix mit einem „erstaunlich wohlgenährten Christus“, näher beim Himmel sei, und sie bringe ihn auch öfters auf den Balkon hi- naus, denn er „sei gerne an der frischen Luft“. Analyse des Inhalts in Zusammenhang mit Alltags- und Welt- wissen Das führt sie den beiden BesucherInnen sogleich vor, und plötzlich – wir wissen nicht, warum – öffnet sie ihre das Kruzifix haltende Hand und Herr Jesus fliegt nach unten in den Balkon des blinden Nachbarn in eine Babybadewanne voller Wasser hinein, in der dieser angeblich seinen Hund bade – hier wird uns als LeserIn klar, woher die Kurzgeschichte ihren Titel hat. Der Ich-Erzählerin wird wohl klar, was hier gerade passiert ist, und sie verspricht der alten Frau, hinunterzugehen und das Kruzifix zurückzubringen, gleichzeitig sagt sie laut und deutlich „Es reicht“ zu Raoul. Die beiden verlassen die Wohnung und beginnen erst im Lift zu überlegen, in welchem Stock der blinde Nachbar wohl wohnt – als Raoul sich entscheidet, auf „E“ wie Erdgeschoß zu drücken. Bezugnahme auf den Titel der Kurzgeschichte interpretatorische Ansätze in Hinblick auf Gedanken/Gefühle der Protagonistin Am Ende beobachtet die Ich-Erzählerin den Countdown der Stockwerke am Aufzugsdisplay und reflektiert, dass „man sich wahrscheinlich das ganze Leben lang seine Strafen freiwillig selbst aussuche und es schon zu spät sei, wenn man dies merke und anfange, sich zu wehren“. Reflexion der Ich-Erzählerin wird übernommen Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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