sprachreif 4, Band für Lehrerinnen und Lehrer

11 Textbeilage 3 Zuviel Meditation raubt die Motivation Von Sebastian Herrmann | 03.06.2018 Wer Entspannung sucht, sollte eine Leitungsposition in der Chefetage eines internationalen Konzerns anstre- ben. Die Büros dort müssen Wellness-Paradiesen glei- chen. Darin leben mönchische Menschen im Hier und Jetzt, gebären Ideen aus den Tiefen ihrer Herzen und machen die Welt jeden Tag zu einem besseren Ort. Ein solcher Eindruck kann durch die Lektüre von Wirtschaftsmagazinen wie Forbes oder der Harvard Business Review entstehen, in denen Autoren regel- mäßig Loblieder auf die Achtsamkeitsmeditation sin- gen. Bei Google, im Pentagon, in Pharmakonzernen und überall sonst werde demnach in den Chefetagen meditiert, was das Zeug hält – und auf diese Weise das mentale Fundament für Wachstum und Gewinn ge- legt. In diesen Erfolgsgeschichten aus den Chefetagen steckt stets das Versprechen, dass es der gequälte An- gestellte aus den unteren Etagen auch schaffen könne: etwas meditieren, so das Leben in den Griff bekom- men und endlich im Job durchstarten. Nun gibt es ei- nen Haken an der Sache, natürlich. Die Psychologen Andrew Hafenbrack und Kathleen Vohs zeigen in einer Studie: Achtsamkeitsmeditation wirkt, aber nicht so, wie es sich Arbeitsehrgeizlinge wünschen. Die Entspannungstechnik reduziere näm- lich die Motivation, Aufgaben anzupacken – egal ob diese lästig oder angenehm seien. Und auch entspann- te Menschen brauchen Antrieb, wenn sie nach der nächsten Sprosse auf der Karriereleiter greifen wollen. Es gibt viele Belege für positive Effekte der Achtsamkeitsmeditation Grob gesagt, geht es in der Achtsamkeitsmeditation darum, sich ohne Bewertung dem Moment zu wid- men; zum Beispiel, indem man alle Eindrücke und Empfindungen beim Barfußgehen oder Kauen einer Rosine beachtet, wahrnimmt und wertfrei beschreibt. Zuletzt hat die Technik selbst Karriere als eine Art All- zweckmittel gegen die Anfechtungen des Alltags er- lebt. So gut wie jeder Coach hat Angebote im Pro- gramm, die das Wörtchen „achtsam“ einbinden, von der Diät bis zur Kindererziehung. Und tatsächlich haben Wissenschaftler viele Studien veröffentlicht, die Belege für positive Effekte dieser Meditationsform liefern. Demnach lindern entspre- chende Trainings Stress, heben die Zufriedenheit am Arbeitsplatz und mindern Schlafprobleme in den Stunden zwischen den Diensten. Achtsamkeit erhöht die Neigung zu prosozialem sowie ethisch korrektem Verhalten und schleift dem Führungspersonal offen- bar ein paar unschöne charakterliche Kanten ab. Diese Effekte beruhten darauf, mit dem gegenwärtigen Zustand ins Reine zu kommen und ihn anzunehmen, schreiben Vohs und Hafenbrack. Um aber Aufgaben anzugehen und Ziele zu erreichen, brauche es einen gewissen Grad der Unzufriedenheit, schreiben die Forscher. Warum auch etwas ändern und den Hintern hochbekommen, wenn schon alles spitze ist? Daraus speist sich also der demotivierende Effekt der Medita- tion, den die Psychologen beobachtet haben. Auf die Leistung hatte die Technik keine Auswirkung: Der positive Effekt durch geminderte Anspannung verpufft wohl durch die demotivierende Wirkung. Egal, die Studie lässt sich als Argument für Achtsam- keitsmeditation lesen: Sie entspannt und lindert Stress. Nur als Karriereturbo mit Erfolgsgarantie taugt sie eher nicht. QUELLE: https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/psychologie- ueberentspannt-1.3999870; (abgerufen am 12.08.2018) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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