sprachreif 4, Schulbuch

98 Flat, auf dem Rest der Monarch wird der Zugang im teuren Minutentakt abgerechnet. Pool und Club verhalten sich zueinander wie Mallorca und Ibiza. Der Mann mit dem Kamerazepter sitzt am Club-Tresen und arbeitet an seinem Rechner. Er wird später in einem Workshop sagen, er ver- traue keinen Finanzberatern, die weniger verdie- nen als er selbst. Unten auf Deck 7 laufen Noma- den auf dem Joggingtrack im Kreis, den Rentner aus Argentinien und Venezuela zum Flanieren nutzen. Ihr Blick fällt ins Blaue. Ehe sich an dieser Aussicht neun Tage lang nichts mehr ändert, macht die Monarch noch einmal halt. Über der Antilleninsel St. Maarten – halb niederländisch, halb französisch – geht amMor- gen ein tropischer Wolkenbruch nieder. Warmer Regen prasselt auf die Sonnenschirme am Strand von Philipsburg, gesäumt von Bars und Duty- free-Shops. Ein paar Leute sind zum Schnor- cheln gefahren, andere nach Maho Beach, weil direkt hinter dem Strand die Landebahn des Flughafens liegt und die Maschinen sehr dicht über den Badenden einschweben. Super Sel- ¤e-Spot. #mahobeach #stmaarten #planespot- ting In einer Kneipe an der Promenade hängen zwei Leute auf Barhockern wie Gruppenstrandgut, der Mann mit dem Hemd und der sehr hellen Haut und Vincent, der auf sein Smartphone starrt. Es gibt WLAN. Vincent, ein 25-jähriger Franzose, war zweieinhalb Monate lang in Süd- amerika unterwegs. Er hat die Atacama-Wüste gemacht, Machu Picchu und die Galapagosin- seln. Der Mann mit demHemd und der sehr hel- len Haut ist extra für die Cruise nach Kolumbien ge³ogen. Sein Job, erzählt er, langweilt ihn zu Tode, und weil ihn diese Bemerkung nicht seine Festanstellung kosten soll, nennen wir ihn hier sicherheitshalber Andreas. Er hat was mit Com- putern zu tun. Andreas würde sich gerne selbst- ständig machen. Er ist Anfang 40 und zum ers- ten Mal in der Karibik. Wir beschließen, gemeinsam einen Aus³ug zu machen. Vincent schaut auf seinem Smartphone, was bei TripAdvisor am beliebtesten ist (#maho- beach). Wir fahren dann doch zusammen nach Marigot im französischen Teil der Insel. Vincent handelt den Taxifahrer von 8 auf 7 Dollar runter. Später, beim Mittagessen in einer HinterhoÈü- che, erzählt er, er habe vor, den Pariser Nahver- kehr zu revolutionieren. Mit Tretrollern. Pro- blem: Tretroller gelten als brutal uncool. Aber wenn Jennifer Lopez mal auf so einem Teil fah- ren würde, wollten alle eins haben. Vincent will seine Idee mit den Berater-Nomaden bespre- chen, mit denen, die was von Unternehmens- gründungen verstehen. Unabhängigkeit um jeden Preis Wir fahren mit dem Bus zurück nach Philips- burg. Vincent hat keinen Bock, noch mal 7 Dol- lar für ein Taxi zu bezahlen. Andreas sitzt neben einer üppigen Mama auf durchgesessenen Sitz- polstern und lächelt zum verschmierten Fenster hinaus, hinter dem die Karibik leuchtet. Später, am Strand, sagt Andreas, die Busfahrt sei für ihn das schönste Erlebnis auf St. Maarten gewesen. Die Monarch verlässt den Hafen am späten Nachmittag. Ein paar Inseln noch, dann ist wie- der alles blau. Ed übrigens auch. Der Rentner aus Kalifornien ist kein Nomade, aber er sucht Abend für Abend Gesprächspartner unter den Nomaden am Pool und ¤ndet täglich neue, weil er sich später nicht an sie erinnern kann. Kosten- lose Cocktails auf einer Cruise, das sei schon phänomenal, sagt Ed, während ihm sein Gebiss immer wieder ins Wort fällt. Er selbst reise bis – „Moment, wohin fahren wir?“ – „Lissabon.“ – „Genau, und dann fahre ich noch weiter, Berlin, Russland, Niederlande eben.“ Dann verabschie- det er sich. Ed sagt, er wolle noch schwimmen gehen. Vielleicht liegt es an der Pausenlosigkeit einer Atlantiküberquerung, dem Flow der Rituale, dass sich die folgende Zeit später wie ein einziger langer Tag anfühlt. Es gibt Nomaden, die im Lau- fe der Reise abhandenkommen, die erkältet sind, seekrank werden oder beides. Vielleicht arbeiten sie auch nur, irgendwo im Schi²sbauch. Wo die Sonne nicht auf dem Monitor spiegelt. Wo es eine Steckdose gibt. Wo man seine Ruhe hat. Am Pool wippt der Horizont an manchen Tagen wild, im Konferenzraum knarzen die holzgetä- felten Wände. Die Monarch stampft und rollt und schlingert. Es gibt den Abend in der Disco, an dem Johannes Völkner beim Meet-up bittet, von Partys in den Juniorsuiten abzusehen. Und dass sich ein paar Leute ins Bord-WLAN gehackt hätten, das sei irgendwie auch nicht okay. 178 180 182 184 186 188 190 192 194 196 198 200 202 204 206 208 210 212 214 216 218 220 222 224 226 228 230 232 234 236 238 240 242 244 246 248 250 252 254 256 258 260 262 264 266 268 270 272 274 276 Schriftliche Kompetenz Semester- check Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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