sprachreif 4, Schulbuch

94 Einnahmequelle, aber manche Regeln müssen eingehalten werden. Auch Hubud wird schlie- ßen. Manche Länder locken Freelancer gezielt an Seit Tagen schmücken die Balinesinnen und Ba- linesen ihre Insel mit Palmwedeln, feiern Reini- gungsrituale am Strand und basteln haushohe Monster aus Pappmaschee. Am Vorabend des Tags der Stille werden alle Einheimischen auf der Straße sein und böse Geister vertreiben. „Baline- sische Frauen trinken nicht einmal an Festen Al- kohol, hab ich gehört“, sagt Terri, die sich am Kiosk deshalb für ein Wasser entschieden hat. Mit elf anderen Roam-Bewohnern hat sie die Hipsteroase verlassen und wartet nun an einer Straßenecke. Und dann kommen die Monster: mit spitzen Krallen und nackten Brüsten, die Au- gen leuchten elektrisch rot, die Haare stehen zot- telig vom Kopf ab. Auf Bambusgerüsten tragen junge Männer die Pappmaschee-Ungeheuer durch die Straßen. Die Roam-Leute drängen sich zwischen den Einheimischen an den Straßen- rand und fotogra¤eren. Indonesien zum Anfas- sen – ein tropisches Entwicklungsland mit einer Bevölkerung, die Bü²el opfert und an Dämonen glaubt. Es ist die Ironie der Geschichte: Jahrhunderte- lang haben Europäer und Amerikaner das No- madentum als rückständige Lebensform verach- tet, haben Häuser gebaut, Städte geplant und Nationalstaaten gegründet – und jetzt lassen sie die moderne Zivilisation wieder hinter sich und feiern das nomadische Leben als neuen, visionä- ren Lebensstil. Es gibt Entwicklungs- und Schwellenländer, die westliche Freelancer und Start-ups gezielt anlocken, weil sie sich wirt- schaœliche Impulse von ihnen erho²en. Südko- rea vergibt Förderstipendien; Chile lockt mit bis zu 40 000 US-Dollar Startkapital und einem ein- jährigen Arbeitsvisum. Bali hat all das nicht nö- tig. Die Leute kommen von selbst. Die meisten mit einem Touristenvisum, mit dem sie 60 Tage im Land bleiben können, dann müssen sie aus- reisen. Sogenannte Visa Runs, zweitägige Trips nach Singapur, Bangkok oder Hongkong, gehö- ren hier zum Alltag. Bei der Gelegenheit kann man auch gleich einen Vorrat an Kontaktlinsen und Tampons kaufen – Produkte, die es auf Bali nicht gibt. Yogalehrer, die man ohne Arbeitsvisum auf Bali erwischt, werden direkt zum Flughafen gefahren und in die nächste Maschine Richtung Heimat gesetzt. Manche Yogaschulen machen deshalb schnell dicht, wenn sich das Gerücht einer anste- henden Kontrolle herumspricht. Auch im Co- working Space Hubud kamen die Mitarbeiter der Immigrationsbehörde schon zu Besuch und fragten, was die Leute hinter den Bildschirmen mit den KopÃörern eigentlich den ganzen Tag treiben. „E-Mails schreiben und Videos auf You- tube schauen“, sagte der Hubud-Chef, worauÃin sie zufrieden waren und wieder gingen. Seither werden die Westler mit den Notebooks wie Tou- risten behandelt. „Und jetzt sind wir Schmetterlinge“ Digitale Nomaden sind ein Phänomen, das die meisten Regierungen überfordert. Wo sollen die- se Personen sich registrieren? In welchem Land Steuern zahlen? Manche füllen die Steuererklä- rung ihres Herkunœslandes aus, andere die Sin- gapurs, manche keine. Georgio zahlt seine Steu- ern noch immer in England, auch weil er so seine Krankenversicherung behält. Estland bietet seit 2014 eine digitale Staatsbürgerschaft an, die „E-Residency“. Sie erlaubt es Staatenlosen, einen Steuerwohnsitz anzumelden, ein Konto zu erö²- nen, eine Firma zu gründen. Die Idee stammt vom estländischen Politiker Taavi Kotka, Mit- gründer des Internet-Telefonanbieters Skype. Steve Munroe, Chef des Coworking Space Hu- bud, treibt die Frage um, wie die Einheimischen von der Invasion der digitalen Nomaden pro¤- tieren könnten. Wie man einen Austausch an- regt, von dem beide Seiten etwas haben. „Wir Westler könnten natürlich regelmäßig den Strand von Abfall säubern“, sagt er, „aber das wäre, wie ein Waisenkind streicheln – ohne Ef- fekt.“ Seine Idee ist, dass die Westler gratis Web- sites für die lokale Bevölkerung programmieren. So würde das Know-how der digitalen Nomaden am wirkungsvollsten eingesetzt, und die Ge- schäœe der Einheimischen könnten professiona- lisiert werden. Er ist nur noch nicht sicher, wie er die Zusammenarbeit am besten koordiniert; er hat viele Jahre für die UNO gearbeitet und weiß, wie schwierig Entwicklungshilfe ist. Auf der Dachterrasse des Roam turnen in der ersten Reihe Georgio, David Kamp, ein Deut- 216 218 220 222 224 226 228 230 232 234 236 238 240 242 244 246 248 250 252 254 256 258 260 262 264 266 268 270 272 274 276 278 280 282 284 286 288 290 292 294 296 298 300 302 304 306 308 310 312 Schriftliche Kompetenz Semester- check Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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