sprachreif 4, Schulbuch

71 dern nur aufstrebende Schriœsteller dafür ausge- wählt wurden, kümmert die 29-jährige Oberös- terreicherin wenig. Ist ihr doch die Nominierung schon Auszeichnung genug. Kritiker loben ihren Roman dafür, ein topaktuelles ¯ema aufzugrei- fen, das in der Literatur etwas stiefmütterlich be- handelt wird. Warum das so ist, sieht Anna Wei- denholzer recht pragmatisch: „Das Leben als Arbeitsloser ist nicht besonders spannend. Da gibt es nicht viel zu erzählen normalerweise.“ Identitätsverluste Dass es doch ein spannendes Buch geworden ist, das verdankt Weidenholzer auch dem ¯eater Hausruck. Bei einer Produktion, in der Ex-Mit- arbeiter einer stillgelegten Möbelfabrik in Attn- ang-Puchheim beim „Kapitalismus-Kirtag“ ihre Schicksale erzählten, bekam ihre Roman-Idee konkrete Formen. „Da habe ich gewusst, ich muss auch solche Interviews mit betroffenen Frauen führen, um zu meiner Figur zu ¤nden. Die Gespräche haben mir sehr geholfen, ein Stück von ihrer Lebensrealität zu erfahren. Maria ist älter als ich, sie hat einen anderen Erfahrungs- hintergrund. Diese Interviews waren zum Teil irrsinnig berührend und so stark, dass ich mir gedacht habe: Das glaubt dir niemand, dass so viel in ein Leben passt!“ Einfach war es freilich nicht, Frauen für diese Gespräche zu gewinnen: „Die Scham ist nicht zu unterschätzen bei der Langzeit-Arbeitslosigkeit.“ Die Interviews sind auch der Grund dafür, dass man Maria rück- wärts kennenlernt: „Das ist ganz typisch, dass man auch seine Identität ein Stück weit verliert, wenn man seinen Beruf verliert. Wir de¤nieren uns da sehr stark darüber.“ Deswegen ist Maria zu Beginn nur die Arbeitslose, die den Tag tot- schlägt, indem sie auf einem Markt die Standler beobachtet. Und am Ende ist sie, ohne zu viel zu verraten, eine Ehefrau, die einiges mitgemacht hat, sie ist die liebevoll-distanzierte Tante eines Kindes, sie ist eine zurückhaltende Kollegin − und sie ist Halterin eines ganz besonderen Haus- tieres. Nämlich von Frosch Otto, den sie als Kaulquappe aufnimmt. „Ich wollte, dass sie ein Tier hat. Aber eins, das zu ihrer Zurückgezogen- heit passt.“ Weidenholzer hat auch in der Ratgeber-Literatur für Arbeitslose recherchiert. „Einen Satz fand ich besonders skurril: ,Machen Sie konsequent, sys- tematisch, parallel, schnell und viel.‘„ Maria kennt den Satz auswendig. Er hilœ ihr nicht. Bei der Lektüre ist die Autorin auch auf so manches gestoßen, dass am Rande des Unverantwortli- chen ist. „Ein Buch etwa heißt ,In 90 Tagen aus der Arbeitslosigkeit‘. Da bekommt man Aufga- ben zum Abhaken und Stundenpläne für jeden Tag. Wenn man es bis Tag 90 nicht gescha¹ hat, Arbeit zu ¤nden, kommt man zu Kapitel 91, das den zynischen Titel ,Endzeit‘ trägt.“ Ihre schreiberischen Lehrjahre hat Weidenhol- zer als Chronikjournalistin der „Oberösterrei- chischen Nachrichten“ gemacht: „Menschen fra- gen, wie es ihnen geht, nachdem ein Verwandter bei einem Unfall gestorben ist, das war heœig.“ Das liegt hinter ihr, heute führen sie Stipendien unter anderem nach Berlin. Und doch ¤ndet sie die größte Inspiration in Linz: „In Linz muss ich nur in einen Bus einsteigen und hab schon min- destens drei neue Geschichten. Ich denke, es wird sich nie ablegen lassen, dass ich aus Ober- österreich bin, auch wenn ich seit zehn Jahren in Wien lebe. Das mag die Sprachmelodie sein, viel- leicht die Sicht auf die Dinge. Aber vielleicht ist es auch einfach nur der Most.“ QUELLE: http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/autoren/530122_Das-glaubt-dir-niemand.html ; (abgerufen am 04.04.2017) 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 Kommentieren Sie den letzten Absatz (Zeile 78–92) der Rezension Das glaubt dir niemand . In welchem Zusammenhang steht er mit dem Rest des Textes? Welchen Informationswert über das Werk der Autorin hat er? Lesen Sie nun den Einstieg in den Roman Der Winter tut den Fischen gut von Anna Weidenholzer. Analysieren Sie ihn hinsichtlich sprachlicher bzw. stilistischer Besonderheiten. A16 A17 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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