sprachreif 4, Schulbuch

68 Das Diskussionsniveau bessert sich leider nicht angesichts der neuen Entwicklungen. Mittels CRISPR/+ […] kann man Gene nun präzise edi- tieren. Viel einfacher als bisher kann man nun bestimmte Gene deaktivieren. Oder das Schäd- lingsresistenzgen einer Kartoffelsorte in eine nicht resistente Sorte einbauen (cisgener Trans- fer). Viele Experten und Politiker sehen das nicht als Gentechnik. Natürlich kann man nun auch artfremde Gene leichter in ein Genom einbauen (transgen). In ihrer Argumentation konzentrie- ren sich Befürworter gern auf die cisgenen An- sätze und weniger auf die transgenen. So scha¹ man kein Vertrauen. Die neue Methode hinterlässt keinerlei Spuren im Genom. Was die Diskussion über³üssig ma- chen könnte. Wo kommt denn dieser besondere Mais her? Na, da hat sich die Natur wohl eine be- sondere Mutation erlaubt Den Gegnern nimmt CRISPR/+ einige ihrer Lieblingsargumente, etwa: Die bisherigen Gen- Einschleusungen nach dem „Zufallsprinzip“ sind zu riskant. Dank zielgenauen Arbeitens ist das Argument obsolet. Trotzdem wird es weiterhin verwendet. Es gibt noch eine Menge Beispiele bis hin zu gefälschten Studien von beiden Seiten. Braucht kein Mensch, lässt sich aber besser verkaufen Ein weiterer Grund für das Debattenniveau sind natürlich Tatsachen. Endlich sollen medizinische Wundermittel möglich und der Bevölkerung da- mit Gentechnik schmackhaœ gemacht werden, doch was wird als erstes „CRISPR/+“-Produkt zugelassen? Ein Champignon, dessen Druckstel- len nicht mehr braun werden. Braucht kein Mensch. Lässt sich aber besser verkaufen. Des- halb wird es gemacht. Von diversen Geschäœs- praktiken mancher Konzerne ganz zu schweigen. Wobei Gentechnik und Geschäœspraktiken ei- gentlich zwei Paar Schuhe sind. Und dann die Designerbabys! Wir werden Wundermedizin entwickeln und Bioindustrie, quasi Natur aus Natur, aber alle reden nur über potenzielle Desi- gnerbabys! Ich übrigens auch in meinem neuen Thriller „Helix“. KeinWunder, denn nirgends geht es un- mittelbarer um uns Menschen. Dabei sind Desi- gnerbabys noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entfernt. Oder auch nicht. Noch vor fünf Jahren gab es kein CRISPR/+. Jetzt haben wir die Revo- lution. Experimente an der menschlichen Keim- bahn wurden bereits durchgeführt. Chinesische Teams versuchten, Embryonen immun gegen Beta-¯alassämie und HIV zu machen. Ein Se- gen, werden viele sagen, das Ende der vererbba- ren Krankheiten! Könnte man bei den meisten Krankheiten allerdings auch durch Präimplanta- tionsdiagnostik und Aussortieren der betro²e- nen Embryonen erreichen. Was in besonderen Fällen übrigens auch in Österreich inzwischen erlaubt ist. Weniger Krankheiten verschieben die gesell- schaœliche De¤nition von Krankheit. Was oder wer wird als Nächstes aussortiert? Leseschwäche etwa ist teils genetisch bedingt, das zeigen For- schungen der Verhaltensgenetik. Heute Schwä- che, morgen Krankheit? Aussortieren oder dank Kenntnis Frühförderung? Emmanuelle Charpentier, eine der Entdeckerin- nen von CRISPR/Cas9, ist klar gegen Eingri²e in die menschliche Keimbahn. „Warum sollte man das tun?“, fragt sie. Die Antwort ist allzu mensch- lich: des Vorteils wegen. Höhere Intelligenz, grö- ßere Stärke bringen mehr Macht und besseren Zugang zu Ressourcen. Andere Kulturen haben einen anderen Zugang. Was werden wir tun, falls sie eines Tages begin- nen, ihre Bevölkerung genetisch „aufzurüsten“? In einer weiteren Diskussion fürchten wir uns gerade davor, dass künstliche Intelligenz den Menschen bald überflügelt. Und wenn der Mensch intelligenter werden könnte? We’ ll be back, Terminator. Or not. Wann immer der Mensch Gott spielt, muss die Sache schiefgehen Dann sind da noch die Gefühle. Angst vor dem Neuen. Ablehnung des „Unnatürlichen“. Ein Narrativ, so alt wie die Menschheit: Natur gegen Kultur. Der Golem, Frankenstein, Dr. Moreaus Insel, Schöne neue Welt, Jurassic Park – wann immer der Mensch Gott spielt, muss die Sache schiefgehen und die Schöpfung wendet sich wie beim Zauberlehrling gegen ihn. Tut sie in der Realität aber mehrheitlich nicht, im Gegenteil. Sonst wären wir als Menschheit heute nicht da, wo wir sind (ja, trotz Klimawandel, unveränder- ter Aggression und anderer Katastrophen geht es mehr von uns besser als allen Generationen da- 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 Schriftliche Kompetenz 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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