sprachreif 4, Schulbuch

50 Sprache im Migrationsdiskurs – Warum „Asylant“ ein Killwort ist Von Sebastian Gierke | 11.12.2014 Sprache wird als Mittel der Ausgrenzung missbraucht, beim¢ema Migration zeigt sich ihre demago- gische Macht. Asylant sagt zwar kaum noch einer, doch andere Unwörter haben Konjunktur. Sehr viele Deutsche grenzenMigranten aus. Ein- fach, indem sie ihnen nicht zugestehen, auch Deutsche sein zu können. Das zeigt eine aktuelle Studie der Berliner Humboldt-Universität. 38 Prozent glauben demnach: Wer ein Kopftuch trägt, kann keine Deutsche sein. Es ist ein erschreckender Befund, dem die Wis- senschašler der Universität über Begri¯e bei- kommen wollen. „Menschen mit Migrationshin- tergrund“, dieses sprachliche Konstrukt, das vor über 20 Jahren von der Pädagogikprofessorin Ursula Boos-Nünning geprägt wurde, soll aufge- löst werden, empfehlen sie. Es verschärfe die Un- terschiede zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund. Die Studie belegt einmal mehr: Sprache spielt in der Diskussion um Einwanderung und Integra- tion eine entscheidende Rolle. Oš wird sie als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Wer ist Deutscher? Und wer nicht? Wie weit ist es vom „Migranten“ zum Deutschen? Wie weit vom „Gastarbeiter“, vom „Flüchtling“? Und vom „Asylanten“? Jedes Wort hat unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen. Sprache ist mächtig. Mit ihr versuchen wir unse- re sozialen Beziehungen zu ordnen. Die Begri¯e, die wir verwenden, in denen wir denken, prägen unsere politische Realität. Und beein¥ussen da- durch unser Verhalten. Wir gieren nach Vertrau- tem, nach schnellem Erfassen, Bewerten und Bestätigung - und sind deshalb anfällig für Täu- schungen und Irrtümer. Im Sprechen über Flüchtlinge lässt sich die demagogische Macht von Sprache immer wieder nachweisen. Gerade in diesem emenfeld gibt es viele Wörter, die mehr über den aussagen, der sie verwendet, als über den Menschen, den sie bezeichnen. Neger ist so ein Wort. Und Zigeuner. Oder Asylant. Asylant Asylant war einst ein unschuldiges Wort. „Es wurde in den 60er Jahren auf völlig harmlose Art und Weise benutzt“, erklärt der Linguist Martin Wengeler. Im Duden taucht es erst in der 18. Au¥age auf, im Jahr 1980. Nicht ohne Grund. 1980, im Jahr des Militärputsches in der Türkei, kletterte die Zahl der asylsuchenden Menschen in Deutschland über die Grenze von 100 000. Zu diesem Zeitpunkt war eine emotional geführte Diskussion um diskriminierende Sprache ent- brannt− und der Begri¯ verlor seine Unschuld. „Seit Beginn der 80er Jahren wird das Wort zu- meist abwertend gebraucht, dazu, die Menschen zu benennen, die man nicht dahaben will. An- fang der 1990er erreichte das dann den Höhe- punkt. Zum Beispiel in Medien wie Bild und Spiegel “, sagt Wengeler, der Mitglied der Jury Un- wort des Jahres ist. […] „Ansturm der Armen“ – entmenschlichende Metaphern Das zeigt, wie schwierig es ist, die polyphonen 1 , dichten Zeichen der Sprache genau einem Sinn zuzuordnen. „Keiner denkt bei demWort gerade und genau das, was der andre denkt“, schrieb be- reits Wilhelm von Humboldt, „und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Ver- stehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Ver- stehen.“ Metaphern Ošmals verwenden wir sprachliche Bilder, ohne uns deren metaphorischen Charakters bewusst zu sein. Das Wort Asylant wird während der Asyldebatte beispielsweise oft zusammen mit Sprachbildern verwendet, die mit Chaos und Be- 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 Sprach- reflexion 2 Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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