sprachreif 4, Schulbuch

39 das Firmengelände liegt zwischen Bauernhöfen. Es ist keine sehr große Firma, 650 Mitarbeiter, aber sie testet selbst und schickt jedes Jahr fast 200 Produkte in externe Labore, um auszuschlie- ßen, dass Kinder durch die eingesetzten Farben oder Klebsto¯e gefährdet werden könnten. Im vergangenen Sommer war ein Greifring für Babys bei Frau Lange im Labor. Die Testwerte waren unau¯ällig. Solche Ringe würden heute wohl in Kinderwagen und Spielzeugkisten land- auf, landab liegen. Wäre da nicht die Stišung Warentest. Sie entschied in einem Test im ver- gangenen Dezember, der Greifring sei nicht ba- bytauglich: Note 4,3, schlechter als ausreichend. Der Grund war ein Stück Gummischnur im In- neren des Spielzeugs, das unter bestimmten Um- ständen krebserregend sein könnte. Glaubt man dem Test, ist der Greifring für Babys lebensge- fährlich. Fragt man andere unabhängige Tester, dann ist die Gefahr nur sehr theoretisch gegeben. Keiner Instanz glauben die Verbraucher mehr Es gibt wohl keine Instanz in Deutschland, der die Verbraucher so vertrauen wie den Produkt- wächtern aus Berlin. Die Stišung, die dieses Jahr 50 wird, gilt nach den Skandalen beimADAC als letzte Bastion der Unabhängigkeit gegenüber der Industrie, ihr „test“-Heš als Bibel des kritischen Konsumenten. Drei von vier Deutschen suchen laut einer Umfrage von 2010 regelmäßig Rat bei Testinstituten, bevor sie eine größere Anschaf- fung machen. Und die Stišung ist das beliebteste. Senkt sie den Daumen, kann das die Hersteller Hunderttausende Euro kosten, oš nehmen die Händler die Waren aus den Regalen. Denn die Testergebnisse werden über Medien und das In- ternet millionenfach reproduziert, über Jahre hinweg. Das wäre ja auch in Ordnung, wären die Tests jederzeit nachvollziehbar und lebensnah konzi- piert. Allerdings hat die Stišung zuletzt mit einer Reihe fragwürdiger Entscheidungen einiges Ver- trauen verspielt. Die Kritiker werden mehr – und lauter. Und: Eine Reihe von Dokumenten, die der „Welt am Sonntag“ vorliegen, wecken Zweifel an den Methoden und demUrteilsvermögen der Tester. Kritiker: Sti¢ung bauscht Gefahren auf Kritiker, darunter eine Reihe namhafter Pro- duktforscher, werfen der Stišung unter anderem vor, sie habe seit ein paar Jahren immer wieder winzige Schadsto¯-Funde zu vermeintlich dras- tischen Gesundheitsgefahren aufgebauscht – wie im Fall des Babygreifrings. Die Werte, die die Stišung fand, liegen so mini- mal oberhalb des gesetzlichen Grenzwerts, dass sie gut durch eine Messunsicherheit beimAnaly- segerät hervorgerufen sein könnten. So beurteilt etwa Alexander Breunig den Fall, der Leiter des Spielwarenlabors des Prüfinstituts Intertek. Breunig untersucht häu¬g Spielwaren auf genau diese Sto¯e, und er sagt: „Zur Frage, ob davon eine toxikologische Gefährdung ausgehen könn- te: wohl eher nein.“ 1,07 Milligramm pro Kilo, das macht bei den 15 Zentimeter Schnur im Greifring, die deutlich weniger als ein Gramm wiegen, knapp ein Milli- onstel Gramm. Und dieser Sto¯ könne erst dann gefährlich werden, wenn er im Speichel mit Nitrit in Berührung komme. Das Baby müsste also zum Beispiel erst die Holzperlen zerbeißen, dann an der Schnur nuckeln und gleichzeitig ein Stück Salami im Mund haben, wie Breunig er- klärt. Dann erst sei der Sto¯ potenziell krebserre- gend. Für einen anderen Wissenschašler, der die Ar- beit der Produkttester seit Jahren kritisch ver- folgt, ist der Spielzeugfall symptomatisch. „Die Stišung skandalisiert mittlerweile nahezu will- kürlich. Sie schürt Ängste unter den Verbrau- chern, die teilweise völlig unberechtigt sind“, sagt Michael Braungart, wissenschašlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts. Der Verein forscht seit mehr als 20 Jahren zu Schadsto±elastungen in Produkten, er arbeitet mit Regierungsbehör- den und Universitäten zusammen. […] QUELLE: https://www.welt.de/wirtschaft/article127657735/Die-gefaehrliche-Macht-der-Stiftung-Warentest.html ; (abgerufen am 12.03.2017) 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 Schriftliche Kompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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