sprachreif 4, Schulbuch

22 „Deutsch in Österreich“ der Uni Wien präsentieren. Zweieinhalb Jahre sind die Wissenschafter für das FWF1-Projekt „Das ös- terreichische Deutsch als Un- terrichts- und Bildungssprache“ per Fragebogen, in Interviews, Gruppendiskussionen und Un- terrichtsbeobachtung der Frage nachgegangen, welche Rolle das österreichische Deutsch und seine verschiedenen Varianten im Unterricht spielen. Dabei zeigte sich, dass alle drei soge- nannten Varietäten (Standard-, Umgangssprache, Dialekt) in der Schule wichtig sind. Aus- nahme ist Vorarlberg: Hier spielt Umgangssprache – eine etwas saloppere Ausdruckswei- se zwischen Standardsprache und Dialekt – kaum eine Rolle. Ähnlich wie in der Schweiz wechseln die Schüler dort meist zwischen den beiden Extrem- polen Standarddeutsch und Di- alekt. Lernstoœ in Standard-, Organisatorisches in Um- gangssprache Schüler verwenden dabei laut Lehrer-Befragung mehr Um- gangssprache und Dialekt als ihre Pädagogen. Unterschiede gibt es auch nach Region: Schü- ler in Ostösterreich setzen stär- ker auf die Standardsprache. Lehrer haben sogar beobachtet, dass es für manche Schüler in Westösterreich eine Herausfor- derung ist, ein Referat in der Standardsprache zu halten. „Wichtig wäre ein reflexiver Umgang mit Varietäten und si- tuativen Normen im Unterricht und dass alle Schüler Sicherheit in der Verwendung der Stan- dardsprache erlangen“, resü- miert Ransmayr die Ergebnisse der Lehrerbefragung. 85 Pro- zent Lehrer nutzen in der Klasse laut eigenen Angaben beim Vortragen von Lernstoff die Standardsprache, beim Erteilen von Arbeitsaufträgen tun das noch zwei Drittel. Geht es um disziplinäre Fragen oder Orga- nisatorisches, wechselt hinge- gen ein guter Teil der Lehrer in die Umgangssprache oder den Dialekt (52 bzw. 40 Prozent). Jüngere Lehrer verwenden eher Umgangssprache. Nach Schultypen gibt es aller- dings auch beim Vortragen des Stoffs signifikante sprachliche Unterschiede: Lehrer von Hauptschulen bzw. Neuen Mit- telschulen (NMS) tendieren stärker zu Umgangssprache als Volksschul- und AHS-Lehrer. Lehrer, die Deutsch sowie eine weitere Sprache unterrichten, orientieren sich indes sehr stark an der Standardsprache. Auch an den Unis ausgebildete Lehrer setzen stärker auf Standardspra- che als jene, die an Pädagogi- schen Hochschulen (PH) aus- gebildet wurden. Ein weiterer Befund: Jüngere Lehrer tendie- ren eher zur Umgangssprache als ältere und verwenden auch eher Deutschlandismen (etwa: Junge statt Bub). Auseinandersetzung mit den Varietäten Projektleiter de Cillia sieht dringenden Bedarf, die Varietä- ten des Deutschen in Österreich im Unterricht bewusst zu the- matisieren. Vorrangige Aufgabe der Schule sei es zwar, die Nor- men einer korrekten Standard- sprache zu vermitteln, aber nicht nur das: „Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich authentisch auszu- drücken. Man muss ihnen auch vermitteln, dass jede Sprach- form – Standardsprache, Um- gangssprache, Dialekt – legitim ist, wenn sie der Situation ange- messen ist.“ Geht es nach den Forschern, sollten außerdem sowohl Lehrer als auch Schüler sich intensiver mit den ver- schiedenen Varietäten des Stan- darddeutschen – etwa jenes in Österreich, Deutschland, der Schweiz – auseinandersetzen und sich dessen bewusst wer- den, dass es nicht nur ein einzi- ges korrektes Deutsch gibt, son- dern eben mehrere Varietäten davon. Gleichgestellte Austriazismen In Lehrplänen, Lehrbüchern und der Pädagogenausbildung ©ndet derzeit laut de Cillia nur eine vage Beschäftigung mit dem Begriff des österreichi- schen Deutsch bzw. Deutsch in Österreich statt. Der überwie- gendenMehrheit der Lehrer (85 Prozent) sei sogar das Konzept der Plurizentrik (eine Sprache kann in mehreren gleichwerti- gen Standardvarietäten vor- kommen) nicht einmal be- kannt. Dabei, so de Cillia, sei das österreichische Deutsch enormwichtig als identitätsstif- tendes Element. Ein Beleg dafür sei, dass anlässlich des EU- Beitritts Österreichs in einem Protokoll die Gleichstellung von 23 Austriazismen mit bun- desdeutschen Ausdrücken fest- geschrieben wurde. „Deutsches Deutsch“ wird als korrekter empfunden Gleichzeitig hat sich in der Un- tersuchung ein gewisses Min- derwertigkeitsgefühl österrei- 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146 148 150 152 154 156 Sprach- reflexion 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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