sprachreif 3, Schulbuch

81 Dafür habt ihr einenWust von Gesetzen, zusam- mengehäuft aus willkürlichen Verordnungen al- ler Jahrhunderte, meist geschrieben in einer fremden Sprache. Der Unsinn aller vorigen Ge- schlechter hat sich darin auf euch vererbt, der Druck, unter dem sie erlagen, sich auf euch fort- gewälzt. Das Gesetz ist das Eigentum einer unbe- deutenden Klasse von Vornehmen und Gelehr- ten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu halten, damit man euch bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen, die ihr nicht versteht, nach Grundsät- zen, von denen ihr nichts wißt, Urteile, von de- nen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist sie, weil sie sich gerade teuer genug bezahlen läßt, um keine Bestechung zu brauchen. Aber die meisten ihrer Diener sind der Regierung mit Haut und Haar verkauft. Ihre Ruhestühle stehen auf einem Geldhaufen von 461,373 Gulden (so viel betra- gen die Ausgaben für die Gerichtshöfe und die Kriminalkosten). Die Fräcke, Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener sind mit dem Silber von 197,502 Gulden beschlagen (so viel kostet die Polizei überhaupt, die Gendarmerie u.s.w.). Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr mit Silber pflastern, und mit Armut und Erniedrigung erkauft ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer Bü- cken in den Amtsstuben, und euer Wachestehen vor denselben. Denkt an eure Sporteln für Schreiber und Gerichtsdiener. Ihr dürft euren Nachbarn verklagen, der euch eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl, der von Staatswegen unter dem Namen von Abgabe und Steuern jeden Tag an eurem Eigentum be- gangen wird, damit eine Legion unnützer Beam- ten sich von eurem Schweiße mästen: klagt ein- mal, daß ihr der Willkür einiger Fettwänste überlassen seid und daß diese Willkür Gesetz heißt, klagt, daß ihr die Ackergäule des Staates seid, klagt über eure verlornen Menschenrechte: Wo sind Gerichtshöfe, die eure Klage annehmen, wo die Richter, die rechtsprächen? [...] QUELLE: http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-hessische-landbote-416/1; (abgerufen am 13.04.2016 , in Original-Rechtschreibung) Verfassen Sie einen fiktiven Tagebucheintrag Büchners über den Tag, an dem der Hessische Landbote unter das Volk gebracht wurde. Wie mag Büchner sich gefühlt haben? Welche Hoffnungen oder Ängste könnte er durchlebt haben? Schreiben Sie mindestens 140 Wörter. A21  78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 Projektidee Flugschrift Verfassen Sie Ihre eigene Flugschrift zu einem politischen oder sozialen Thema, in der Sie das Volk auf einen Missstand oder ein Problem hinweisen und zum Protest oder zum Handeln aufrufen. Seien Sie in der Gestaltung kreativ und präsentieren Sie Ihre Flugschriften nach Fertigstellung in der Klasse. Tipp Merkenswert: Politische Flugschriften • • bestehen aus mehreren Seiten • • protestieren gegen Probleme/ Missstände/Ungerechtigkeiten • • sollen allgemein verständlich sein • • rufen zu Protest/Aktionen auf • • erscheinen nicht periodisch (beziehen sich auf bestimmte Entwicklungen/Situationen) Zwischenstopp Sie sollten nun folgende Teilkompetenzen erworben haben: • die Textsorten Biografie und Autobiografie unterscheiden und analysieren können • Biografien und Autobiografien stilistisch untersuchen und beschreiben können • ein Beispiel für eine politische Flugschrift in ihrem historischen Zusammenhang verstehen können 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 122 Text- kompetenz Nur zu Pr fzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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