sprachreif 3, Schulbuch

57 Organisationsstrukturen von verschiedenen sozialen Medien vergleichen Um Medienkompetenz(en) entwickeln zu können, ist es wichtig, sich bewusst zu sein, welche unter- schiedliche Medienproduktionsformen es gibt und auch den sogenannten „herkömmlichen“ Medien wie Print, Radio und TV denselben Stellenwert einzuräumen wie den allgegenwärtigen neuen Medien. Oft spricht man auch von einem regelrechten „Visualisierungszwang der Medien“, dem nicht nur sozialen Medien wie Snapchat oder Instagram massiven Vorschub leisten. Deshalb ist es wichtig, sich die wechselseitige Durchdringung dieser Medien bzw. die Hintergründe bewusst zu machen. Im Folgenden lernen Sie zwei sehr unterschiedliche Instagram-Accounts sowie die Geschichten dahinter kennen, die Ihnen die Verschiedenartigkeit ihrer jeweiligen Organisationsstrukturen näher bringen sollen. Anika Meier über Amalia Ulmans fiktive Biografie: „Jeder ist online ein Lügner“ Von Anika Meier | 29.01.2016 Amalia Ulman inszenierte sich monatelang auf Instagram als vermeintliches Dummchen, das in der Großstadt zum Hot Babe wird, sich von einem Sugar Daddy aushalten lässt und am Ende Läuterung im Yoga findet. Dann löste sie auf: Die Erzählung vom Aufstieg und Fall eines Mädchens war reine Fiktion. Fast zwei Jahre nach ihrer Entstehung wird die Performance noch immer heftig diskutiert und in Ausstellungen gezeigt Mädchen aus der Provinz findet kleine Häschen zum Sterben süß, zieht in die große Stadt, um Model zu werden, hätte gern blassere Haut und dünnere Knie, trennt sich von ihrer High- school-Liebe und merkt, dass das Leben Geld kostet. Sie schlägt sich durch, lässt sich auf Dates ein, wird selbst zumHäschen eines Sugar-Daddy – größere Brüste müssen her. Die lassen sich in L. A. schnell machen, auch wenn es weh tut. Das blonde Mädchen in der großen Stadt will nicht mehr für ein Dummchen gehalten werden und geht deshalb wieder als Brünette durchs Leben. Sie wird depressiv, drogenabhängig, tanzt zwi- schenzeitlich an der Stange, Nervenzusammen- bruch, Rehab, Yoga, Avocado-Toast, neuer Boy- friend. Alles gut, ausatmen. Was nach dem Drehbuch einer Netflix-Serie klingt (oder doch eher wie deren Adaption im deutschen Privatfernsehen) ist in ungefähr das Skript zur Performance „Excellences & Perfec- tions“ der Künstlerin Amalia Ulman. Die Arbeit ist schon etwas älter, bedenkt man den Ort, an dem sie zuerst gezeigt wurde. Zwischen dem 19. April und dem 14. September 2014 postete Ama- lia Ulman auf Instagram und Facebook knapp 180 Beiträge, die den vermeintlichen Aufstieg und Fall eines Mädchens dokumentieren, das auszog, um ein It-Girl mit Modelvertrag zu wer- den. Erst als die Geschichte zu Ende erzählt und damit auch die Performance abgeschlossen war, löste Ulman auf. Über das Bild einer Rose, ein Schwarz-Weiß-Foto, schrieb sie „The End – Excellences & Perfections“, darunter postete sie ein blaues Herz. Und wenn sie jemand gefragt hätte, wofür sie steht, hätte sie sicherlich Amore gesagt. Aber das hätte ihr nicht geholfen. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 Mediale Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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