sprachreif 3, Schulbuch

179 boten wurde, war in Wahrheit präpariertes Pa- pier, Ersatz eines Ersatzes; die Männer schlichen fast ausschließlich in alten, sogar russischen Uniformen herum, die sie aus einem Depot oder einem Krankenhaus geholt hatten und in denen schon mehrere Menschen gestorben waren; Ho- sen, aus alten Säcken gefertigt, waren nicht sel- ten. Jeder Schritt durch die Straßen, wo die Aus- lagen wie ausgeraubt standen, der Mörtel wie Grind von den verfallenen Häusern herabkrü- melte und die Menschen, sichtlich unterernährt, sich nur mühsam zur Arbeit schleppten, machte einem die Seele verstört. Besser stand es am fla- chen Lande mit der Ernährung; bei dem allge- meinen Niederbruch der Moral dachte kein Bauer daran, seine Butter, seine Eier, seine Milch zu den gesetzlich festgelegten „Höchstpreisen“ abzugeben. Er hielt, was er konnte, in seinen Speichern versteckt und wartete, bis Käufer mit besserem Angebot zu ihm ins Haus kamen. Bald entstand ein neuer Beruf, das sogenannte „Hamstern“. Beschäftigungslose Männer nah- men ein oder zwei Rucksäcke und wanderten von Bauer zu Bauer, fuhren sogar mit der Bahn an besonders ergiebige Plätze, um illegal Le- bensmittel aufzutreiben, die sie dann in der Stadt zum vierfachen und fünffachen Preise ver- hökerten. Erst waren die Bauern glücklich über das viele Papiergeld, das ihnen für ihre Eier und ihre Butter ins Haus regnete, und das sie ihrer- seits „hamsterten“. Sobald sie aber mit ihren vollgestopften Brieftaschen in die Stadt kamen, um dort Waren einzukaufen, entdeckten sie zu ihrer Erbitterung, daß, während sie für ihre Le- bensmittel nur das Fünffache verlangt hatten, die Sense, der Hammer, der Kessel, den sie kau- fen wollten, unterdes um das Zwanzigfache oder Fünfzigfache im Preise gestiegen war. QUELLE: Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. http://gutenberg.spiegel.de/buch/die-welt-von-gestern-6858/1 (abgerufen am 28.04.2016) Verfassen Sie einen literarischen Text über die Zeit, in der Sie gerade leben und erwachsen werden ( Die Welt von heute ). Lesen Sie in Ihrem Literaturgeschichte-Lehrwerk den Abschnitt über die österreichische Literatur der Zwischenkriegszeit und notieren Sie die Namen der Autoren, die Sie finden. Mit welchen Themen setzen sich die einzelnen Schriftsteller auseinander? Lesekreis Ein Lesekreis besteht aus vier bis sechs Personen, die ein literarisches Werk innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne (etwa ein bis zwei Wochen) lesen. Ein Zusammentreffen dieser Gruppe soll in Diskussions- form im Wesentlichen folgende Fragen erörtern: •• Welche Erwartungen an den Text wurden (nicht) erfüllt? •• Wie wirkt der Text auf mich und wie könnte der Text auf Zeitgenossen gewirkt haben? •• Gibt es eine zentrale Problemstellung/einen zentra- len Konflikt? •• Welche Bedeutung hat dieser Konflikt für die Leserin/den Leser? •• Wie ist das Verhalten/das Handeln der/des Protagonisten zu beurteilen? •• Welche Schlüsse können daraus gezogen werden in Bezug auf die Bedeutung des Werks? Wählen Sie mithilfe Ihres Literaturgeschichte-Lehrwerks und Ihrer Lehrkraft einige literarische Werke aus der Zwischenkriegszeit aus. Bilden Sie Lesekreise und sprechen Sie über diese Werke. Informieren Sie sich über die Inhalte eines anderen Lesekreises. A26  A27  Tipp C A28  C A29  14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 Schriftliche Kompetenz Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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