sprachreif 3, Schulbuch

155 „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“ Viele expressionistische Züge tragen die Werke Franz Kafkas , der in Tsche- chien als deutschsprachiger Schriftsteller lebte. Wir verdanken es seinem besten Freund Max Brod, dass nicht wie von Kafka selbst gewünscht, nach seinem frühen Tod all seine Werke verbrannt, sondern posthum veröffent- licht wurden. Vor allem Kafkas drei unvollendete Romane – Romanfrag- mente – Der Process, Das Schloss und Der Verschollene zählen zu den Werken der Weltliteratur. Kafkas Leben war kein einfaches: Der in Prag geborene jüdische Schriftsteller litt unter seinem herrischen, ihm allmächtig erschei- nenden Vater Hermann. Die von Konflikten und Missverständnissen gepräg- te Beziehung spiegelt sich oft in seinen Werken wider, sein veröffentlichter, aber nie abgeschickter Brief an den Vater (diesen kennen Sie bereits aus sprachreif 1, S. 133) zeugt von diesem ambivalenten Verhältnis. Hier schreibt Kafka wie er sich seinem Vater gegenüber fühlt: „Manchmal stelle ich mir die Erdkarte ausgespannt und Dich quer über sie hin ausgestreckt vor. Und es ist mir dann, als kämen für mein Leben nur die Gegenden in Betracht, die Du entweder nicht be- deckst oder die nicht in Deiner Reichweite liegen. Und das sind entsprechend der Vorstellung, die ich von Deiner Größe habe, nicht viele und nicht sehr trostreiche Gegenden und besonders die Ehe ist nicht darunter.“ Lesen Sie online einige Abschnitte oder den ganzen Brief an den Vater Franz Kafkas. ( http://guten- berg.spiegel.de/buch/brief-an-den-vater-169/1 ) . Nehmen Sie danach ein Blatt Papier zur Hand und tauschen Sie sich mit Ihrer Partnerin bzw. Ihrem Partner über die ambivalente Beziehung der beiden Männer aus und versuchen Sie, etwaige Ähnlichkeiten zu Ihren eigenen Beziehungen zu Autoritäts- personen, Verwandten, etc. zu finden. Die Verwandlung Franz Kafkas Erzählungen setzen oft mit einer für die Betroffenen unerklärlichen Situation ein, so wie auch seine bekannteste: Die Verwandlung. Hier findet sich Gregor Samsa (nicht zufällig klingt sein Nachname wie der seines Verfassers, Kafka verarbeitete oft Autobiografisches in seinen Werken über Nacht in einen riesigen Käfer verwandelt. Der erste Satz lautet wie folgt: „Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.“ Nach und nach zieht er sich immer mehr zurück, schottet sich von der Familie ab und verendet schließlich alleine in seinem Zimmer. An dieser Erzählung kann man ganz besonders deutlich sehen, dass Kafka immer wieder die Erwartungen seiner Leserinnen und Leser enttäuscht: Gregor ist und bleibt in einen Käfer verwandelt, es gibt keine Lösung für sein Problem. A30  B Ó Ó px8s3p Merkenswert: Expressionismus Die wachsende Vereinsamung sowie die Perspektivenlosigkeit Gregor Samsas sind typisch expressionisti- sche Elemente, ebenso wie die Unmöglichkeit der zwischenmenschlichen Kommunikation und die damit verbundene Missdeutung des Verhaltens. Viele expressionistische Autorinnen und Autoren verarbeiteten auch Sozial- und Gesellschaftskritik in ihren Werken. Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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