sprachreif 3, Schulbuch

125 Umständen auch getan haben würden, so sah man sie doch jetzt stillschweigend darum an und niemand wollte zwischen ihnen einge- klemmt sein mit dem geschmälerten Waisenfel- de. Die meisten Menschen sind fähig oder be- reit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu verüben, wenn sie mit der Nase darauf stoßen; sowie es aber von einem begangen ist, sind die übrigen froh, dass sie es doch nicht gewesen sind, dass die Versuchung nicht sie betroffen hat, und sie machen nun den Auserwählten zu dem Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften und behandeln ihn mit zarter Scheu als einen Ablei- ter des Übels, der von den Göttern gezeichnet ist, während ihnen zugleich noch der Mund wässert nach den Vorteilen, die er dabei genos- sen. Manz und Marti waren also die einzigen, welche ernstlich auf den Acker boten; nach ei- nem ziemlich hartnäckigen Überbieten erstand ihn Manz und er wurde ihm zugeschlagen. Die Beamten und die Gaffer verloren sich vom Felde; die beiden Bauern, welche sich auf ihren Äckern noch zu schaffen gemacht, trafen beim Wegge- hen wieder zusammen und Marti sagte: „Du wirst nun dein Land, das alte und das neue, wohl zusammenschlagen und in zwei gleiche Stücke teilen? Ich hätte es wenigstens so gemacht, wenn ich das Ding bekommen hätte.“ – „Ich werde es allerdings auch tun“, antwortete Manz, „denn als ein Acker würde mir das Stück zu groß sein. Doch was ich sagen wollte: Ich habe bemerkt, dass du neulich noch am unteren Ende dieses Ackers, der jetzt mir gehört, schräg hineingefah- ren bist und ein gutes Dreieck abgeschnitten hast. Du hast es vielleicht getan in der Meinung, du werdest das ganze Stück an dich bringen und es sei dann sowieso dein. Da es nun aber mir ge- hört, so wirst du wohl einsehen, dass ich eine solche ungehörige Einkrümmung nicht brau- chen noch dulden kann, und wirst nichts dage- gen haben, wenn ich den Strich wieder grad ma- che! Streit wird das nicht abgeben sollen!“ Marti erwiderte ebenso kaltblütig als ihn Manz angeredet hatte: „Ich sehe auch nicht, wo Streit herkommen soll! Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er da ist, wir haben ihn alle gemein- schaftlich besehen und er hat sich seit einer Stunde nicht um ein Haar verändert!“ „Larifari!“, sagte Manz, „was früher geschehen, wollen wir nicht aufrühren! Was aber zuviel ist, ist zuviel und alles muss zuletzt eine ordentliche grade Art haben; diese drei Äcker sind von jeher so grade nebeneinander gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonder- licher Spaß von dir, wenn du nun einen solchen lächerlichen und unvernünftigen Schnörkel da- zwischen bringen willst, und wir beide würden einen Übernamen bekommen, wenn wir den krummen Zipfel da bestehen ließen. Er muss durchaus weg!“ Marti lachte und sagte: „Du hast ja auf einmal eine merkwürdige Furcht vor dem Gespötte der Leute! Das lässt sich aber ja wohl machen; mich geniert das Krumme gar nicht; ärgert es dich, gut, so machen wir es grad, aber nicht auf mei- ner Seite, das geb ich dir schriftlich, wenn du willst!“ „Rede doch nicht so spaßhaft“, sagte Manz, „es wird wohl grad gemacht, und zwar auf deiner Seite, darauf kannst du Gift nehmen!“ „Das werden wir ja sehen und erleben!“, sagte Marti, und beide Männer gingen auseinander, ohne sich weiter anzublicken; vielmehr starrten sie nach verschiedener Richtung ins Blaue hi- naus, als ob sie da wunder was für Merkwürdig- keiten im Auge hätten, die sie betrachten müss­ ten mit Aufbietung aller ihrer Geisteskräfte. Schon am nächsten Tage schickte Manz einen Dienstbuben, ein Tagelöhnermädchen und sein eigenes Söhnchen Sali auf den Acker hinaus, um das wilde Unkraut und Gestrüpp auszureuten und auf Haufen zu bringen, damit nachher die Steine umso bequemer weggefahren werden könnten. Dies war eine Änderung in seinem Wesen, dass er den kaum elfjährigen Jungen, der noch zu keiner Arbeit angehalten worden, nun mit hinaus sandte, gegen die Einsprache der Mutter. Es schien, da er es mit ernsthaften und gesalbten Worten tat, als ob er mit dieser Ar- beitsstrenge gegen sein eigenes Blut das Unrecht betäuben wollte, in dem er lebte und welches nun begann seine Folgen ruhig zu entfalten. Das ausgesandte Völklein jätete inzwischen lustig an dem Unkraut und hackte mit Vergnügen an den wunderlichen Stauden und Pflanzen aller Art, die da seit Jahren wucherten. Denn da es eine außerordentliche, gleichsam wilde Arbeit war, bei der keine Regel und keine Sorgfalt erheischt wurde, so galt sie als eine Lust. Das wilde Zeug, an der Sonne gedörrt, wurde aufgehäuft und mit 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 Literarische Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des V rlags öbv

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