sprachreif 3, Schulbuch

108 mer noch unterbezahlt werden.“ Das irritiert mich. Früher hat sich der Feminismus doch durchgesetzt, weil die Frauen, die mürrisch auf die Straße gingen, selbst betroffen waren. Sie kämpften nicht für eine obskure dritte Instanz, sondern für sich selbst. Mittlerweile ist der Femi- nismus eine Charityaktion für unterprivilegierte Frauen geworden, nur noch Symptom einer Em- pörungskultur, die sich fester an die Idee der Gleichheit klammert als jedes kommunistische Regime. Gleichheit und Gerechtigkeit ist für den Femi- nismus ein Fünfzig-Prozent-Frauenanteil, außer bei Scheißjobs. Wenn insgesamt mehr Männer als Frauen mit Buchpreisen ausgezeichnet wer- den, ist mir das völlig egal. Mir ist mein Glück wichtig. Dafür kämpfe ich. Nicht für die Plan- wirtschaft einer Fünfzig-Prozent-Ideologie. Netzfeminismus: die gestörte Tochter des Birkenstock-Feminismus Ich kenne viele erfolgreiche Frauen. Keine von ihnen ist Feministin, weil sich keine von ihnen je in einer Opferposition gesehen hat. Die Feminis- tinnen, die ich kenne, sind hingegen Studentin- nen oder schreiben in der Zeitung darüber, dass sie trotz Studium keinen Job finden. Vielleicht liegt meine Abneigung gegenüber dem Feminismus an den aktuellen Vertretern. Das Emma -Magazin fordert eine Frauenquote im Cockpit (Link: http://www.welt.de/138940304 ), weil Männer eher zum Amoklaufen neigen wür- den. Das ist so weltfremd, dass man die Autorin eigentlich nur fest in den Arm nehmen möchte. Der Feminismus hat das Los eines engagierten Nachhilfelehrers gezogen, der seine Arbeit so gut erledigt, dass er seine Notwendigkeit abschafft. Jetzt windet sich der Feminismus und sucht sich panisch die Probleme, für die er doch so hübsche Lösungen hätte. Die Alternative zum senilen Bir- kenstock-Feminismus findet sich im Internet, der sogenannte Netzfeminismus, die etwas ge- störte Tochter des traditionellen Feminismus. Sie leidet unter der Übermutter und kämpft verstö- rend inhaltsleer um Klicks und Unterstriche in der deutschen Sprache. „Das stimmt überhaupt nicht!“, mischt sich der Netzfeminismus ein. „Im Gegensatz zu meiner uncoolen Waldorfmutter bin ich total trendy und nerdy. Hashtag #nerdy!“ Die Sternchen am deutschen Netzfeminismushimmel sind junge Menschen, die Katzen-Memes, politische Kor- rektheit und „niedliche Dinge stricken“ zu ihren Interessen zählen. „Hihi“, kichert der Netzfemi- nismus, „wir sind voll ironisch!“ Ich möchte lie- ber keine Feministin sein. Inhalte hat der neue Feminismus abgeschüttelt, die Latzhosen in den Altkleidercontainer gewor- fen, sich einen Twitteraccount angeschafft. Frau- enrechte sind zur Performance geworden, Ent- rüstung zu Hashtags. Deutsche Ableger der Femen zeigen Brüste (Link: http://www.welt. de/134990877), der Kampf um Aufmerksamkeit ist hart, wenn die Dringlichkeit nicht für sich spricht. Der Feminismus kämpft an allen Fron- ten, aber nicht mehr für Gerechtigkeit, sondern um Aufmerksamkeit. In der Zwischenzeit ma- chen die Frauen, die sich um den Feminismus nicht scheren, Karriere. Das ist über einen Kamm geschoren, das ist subjektiv, das ist mein Ein- druck. Das Bild vom bösen Chef, der seine Se- kretärin lieber ein bisschen angrabbelt als beför- dert, erscheint mir fremd wie eine Welt, die ich nur aus Loriot-Sketchen kenne. Wirtschaft ist nicht niedlich „Aber guck mal, ich will doch nur, dass Männer und Frauen gleich viel verdienen“, quengelt der Feminismus und schiebt die Oberlippe vor, „das ist doch voll wichtig!“ Mir ist das nicht wichtig. Mir ist wichtig, dass ich so viel verdiene, wie ich für angemessen halte. Wenn ich mich benachteiligt fühle, stelle ich di- rekte Forderungen und keinen Antrag auf eine_n Gleichstellungsbeauftragte_n. An die Stelle des Kampfes um Frauenrechte ist schon lange der Kampf des Individuums um sein Glück getreten, aber das wird nicht gerne gehört, das ist egois- tisch und unromantisch, das Feindbild nicht klar und die Fronten diffus. […] Ich glaube, dass das Einkommen keine Frage des Geschlechts ist, sondern ob man sich Geschlech- terklischees entsprechend verhält. Eine Frau, die ihren Puppenhaus-Traum vom eigenen Café wahr machen möchte und dabei an selbst ge- backenen Karottenkuchen denkt, wird weniger verdienen als ein Mann, der sich vornimmt in der Gastronomie Karriere zumachen. Wirtschaft ist nicht niedlich. „Aber es macht so Spaß, für etwas zu kämpfen!“, 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 114 116 118 120 Schriftliche Kompetenz Semester- check Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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