sprachreif 2, Schulbuch

86 Ansprache kaum zustande bringen – ich meine, die schlimmen Sorgen verscheuchen –, ist mir mit dem ersten Schritt vor euch hin gelungen. Warum ich aber heute in dieser ungewöhnlichen Tracht auftrete, sollt ihr sofort vernehmen, falls ihr geruht, mir euer Ohr zu leihen – aber bitte nicht das, womit ihr euch einen frommen Predi- ger anhört, sondern das andere, das ihr so mun- ter spitzt, sobald ein Marktschreier, ein Hans- wurst oder ein Narr in der Schellenkappe seine Witze reißt. Es kam mich nämlich die Lust an, vor euch für ein Stündchen den Sophisten zu spielen – nicht einen von den modernen, die auf den hohen Schulen die Gelbschnäbel mit ver- zwicktem Unsinn stopfen und zu mehr als wei- bermäßiger Ausdauer im Zanken abrichten – behüte! Ich halte mich an das Beispiel jener Alten, die von dem anrüchigen Titel „der Weise“ nichts wissen wollen und sich bescheiden nur Freunde der Weisheit, Sophisten 5 , nannten. Und da sie nichts lieber taten, als auf Götter und Hel- den Lobreden halten, so werdet auch ihr eine Lobrede hören; nur gilt sie nicht Herkules und nicht Solon 6 , sondern mir selbst, der Torheit. Ich pfeife nämlich auf jene Weisen, die es gleich bo- denlose Dummheit und Unverschämtheit hei- ßen, sobald sich einer selbst lobt. Sei es so dumm, wie sie wollten – wenn sie nur einräu- men, es stehe mir gut. Was stimmte nun schöner zusammen, als wenn die Torheit selbst ihren Ruhm ausposaunt und selbst ihr Loblied singt? Denn wer vermöchte mich besser zu geben als ich mich selbst? Der müßte mich schon genauer kennen als ich. Ohnehin will mir das viel pas- sender vorkommen, als was die vornehmen und weisen Herren insgemein tun. Die pflegen in ei- ner Art Scham, die das Gegenteil ist, sich einen katzbuckelnden Redekünstler oder phrasendre- schenden Poeten zu bestellen und zahlen ihm Honorar, um aus seinem Munde ihr Lob sich anzuhören, will heißen, eine Lüge dicker als die andere; dabei spreizt sich unser schamhafter Mann wie ein Pfau, und mächtig schwillt ihm der Kamm, wenn der ausgeschämte Lobhudler ihn, den Wicht, einem Gott vergleicht, wenn er ihn preist als vollendetes Muster einer jeden Tu- gend – himmelweit weiß sich jener selbst davon entfernt –, wenn er die Krähe mit fremden Fe- dern aufputzt, den Mohren weißwäscht, aus ei- ner Mücke einen Elefanten macht. Und schließ- lich: ich halte es mit dem Sprichwort, das da sagt: „Lobe dich ruhig selbst, wenn es kein ande- rer für dich tun will.“ Freilich muß ich dabei sa- gen, daß die Undankbarkeit – oder ist es Faul- heit? der Menschen mich befremdet. Denn alle machen mir eifrig den Hof und sonnen sich gern in meiner Gnade, aber unter so vielen Genera- tionen ist nicht einer gewesen, der mit dankba- ren Worten der Torheit ein Kränzchen gewun- den hätte. 1 „homerischer Götterwein“: Bezugnahme auf Homer, einen altgriechi- schen Dichter, der sich oft auf das fröhliche Lachen der Götter bezieht. 2 Trophonius Höhle: Heiligtum, in welchem man in der Antike eine Art Todes- und Verzweiflungserlebnis buchen konnte. 3 Lenz/Fluren: Frühling/Natur, Landschaft 4 Zephyr: Frühlingswind 5 Sophisten: Gruppe von Denkern und Philosophen im alten Griechenland 6 Solon: als sehr weise geltender altgriechischer Politiker QUELLE: http://gutenberg.spiegel.de/buch/das-lob-der-torheit-7105/3 ; (abgerufen am 13.05.2015) (in Original-Rechtschreibung) Narrenliteratur In der humanistischen Literatur spielte die unterhaltsame Narrenliteratur eine bedeutende Rolle, da sie den Menschen ihr närrisches Verhal- ten vor Augen führen und sie eines Besseren belehren wollte. Besonders beliebt waren damals – und sind es heute noch – die Schwänke rund um die Figur von Till Eulenspiegel. Finden Sie, entweder durch Online-Recherche oder in Literaturbüchern, möglichst viel über die Figur des Till Eulenspiegel heraus. Erstellen Sie ein Handout im Format A4, in welchem Sie die wichtigsten Informationen stichwortartig darstel- A25 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 Merkenswert: Eulenspiegelgeschichten haben typischerweise drei Teile: • eine Vereinbarung zwischen einer anderen Person und Eulenspiegel oder einen Auftrag • die „Erfüllung“ des Auftrages in unerwarteter oder zu wörtlicher Weise • einen Grund, warum Eulenspiegel der Wut oder der Strafe der Auftrag- geberin/des Auftraggebers entrinnt Literarische Bildung 3 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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