sprachreif 2, Schulbuch

25 Gelesenes kritisch hinterfragen: Die „Phantomzeitthese“ des Heribert Illig Wie man Karl den Großen aus der Geschichte tilgt Von Lucas Wiegelmann | 16.09.2009 Der Stoff, aus dem Verschwörungstheorien sind: Bestseller-Autor Heribert Illig glaubt, dass Teile des Mittelalters nur erfunden sind und Karl der Große nie existierte. Wissenschaftler halten ihn für einen Sektenführer, der seine Anhänger wie eine „pseudoreligiöse Gemeinde“ um sich schart. Karl der Große lebt e von 768 bis 814, sagen die meisten Wissenschaftler. Doch Heribert Illig und seine Anhänger sind sich sicher, dass dieser Glaube auf einem Komplott von Kaiser Otto III. und Papst Silvester II. beruht. Der Dom in Aachen: Laut Illig ein schlagender Beweis für seine Thesen. Seiner Ansicht nach kann die Kuppel nicht aus der Karolingerzeit stammen. Wenn dieTheorie stimmt, müs- sen die Kuriere Tag und Nacht geritten sein. Sie hätten nur we- nige Monate Zeit gehabt. Vom päpstlichen Hof in Rom aus sollen sie ausgeschwärmt sein, um die größte Fälschung der Menschheitsgeschichte in Um- lauf zu bringen. In den Satteltaschen ihrer Pferde verbargen sie Hand- schriften voller Lügen, zurecht- gesponnen von den Strategen von Papst und Kaiser. Die Bü- cher seien in die Bibliotheken des mittelalterlichen Europa ge- schmuggelt worden, um dort so oft kopiert zu werden, bis ihr Inhalt für bare Münze genom- men würde. Die absurdeste Er- findung: Es war einmal ein Herrscher namens Karl, ge- nannt der Große. So stellt sich der Forscher Heribert Illig die Geburtsstun- de der Karolinger vor. Der Pri- vatgelehrte aus München hält große Teile der Mittelalterge- schichte für eine Lüge. Men- schen wie Karl den Großen (ge- storben 814), seinen Sohn Ludwig den Frommen oder den Gelehrten Alkuin habe es nie gegeben. In Wirklichkeit, so Illig, le- ben wir heute nicht im Jahr 2009, sondern 1712. Die Fach- welt ignoriert die These, Ver- schwörungstheoretiker lieben sie. Jetzt legt Illig im eigenen Verlag mit einem neuen Buch nach ( Geschichte, Mythen, Ka- tastrophen: Über Velikovsky hi- naus. Mantis, Gräfelfing. 360 S., 22.90 Euro). Der Mann, der fast 300 Jahre aus der Geschichte streichen will, wohnt in einem idyllisch zugewachsenen Haus in einem Vorort von München. Illig, 62 Jahre alt, sieht gemütlich aus für jemanden, der alle Mittel- alterforscher der Welt auf ein- mal angegriffen hat. Illig giert nach Büchern, sie sind seine einzigen Verbündeten in einem aussichtslosen Kampf. Er sagt: „Ich wusste von Anfang an, was ich mir antue.“ Seine These ist mutig. Zum ersten Mal hat er sie 1992 for- muliert, später dann in seinem Bestseller Das erfundene Mittel- alter und in vielen weiteren Bü- chern und Aufsätzen ausge- führt. Illig ist von ihr besessen. Er glaubt, die Ereignisse, die in unseren Geschichtsbüchern für die Jahre 614 bis 911 aufgeführt sind, hat es nicht gegeben. Der gesamte Zeitraum von 297 Jah- ren sei eine „Phantomzeit“, das Ergebnis eines Komplotts. Kaiser Otto III. und Papst Silvester II., die nach unserer Zeitrechnung um das Jahr 1000 herum lebten, sollen es geplant haben: Weil Otto in Wahrheit gar nicht um 1000 gelebt habe, sondern um 700, aber er so schrecklich gerne um 1000 le- ben wollte. Eine heilige Prophezeiung 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 Text- kompetenz Mediale Bildung Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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