Zeichen 4, Schulbuch

77 zusammen mit einem Koyoten einschließen. Er trug Handschuhe und hüllte sich in ein großes Filztuch. Außerdem hatte er einen Hirtenstab bei sich. Der Koyote reagierte anfänglich misstraurisch und aggressiv auf seinen ungebetenen Zimmergenossen. Im Laufe der drei Tage beruhigte er sich aber und gewöhnte sich an den Künstler. Es kam zu einer Annäherung zwi- schen dem wild lebenden Tier und dem Menschen. Ein Lautsprecher über- trug von Zeit zu Zeit Turbinenlärm von einem Tonband in den abgeschlos- senen Raum. Außerdem wurde täglich das „Wall Street Journal“ geliefert. Beuys nannte diese Aktion „I like America and America likes me“. In einem solchen Zusammenhang könnten wir das Filztuch als Zeichen für Schutz und Wärme interpretieren. Auch die Handschuhe passen in diesen Kon- text. Dass während der dreitägigen Abgeschiedenheit Mensch und Tier sich einander annähern, könnten wir als Hinweis auf das Verhältnis zwi- schen Mensch und Natur verstehen. Auch der Hirtenstab verweist auf das Zusammenleben des Menschen mit Tieren. Der Koyote, der in dieser Aktion die zentrale Rolle spielte, hat mit Amerika zu tun. Für die Indianervölker war der Koyote ein heiliges Tier. Das moderne Amerika hat ihn fast ausgerottet. Auch die Wirtschaftszeitschrift und den Turbinenlärm können wir als Zeichen des modernen Amerika lesen. Multiple und Installation  Auf dem Schlitten sind Filzdecken und eine Taschenlampe festgeschnallt – mit Gurten, die in der Medizin zum Abbinden von Arterien verwendet werden. Auf der Sitzfläche gibt es außerdem eine kleine Portion Fett. Dieses Multiple präsentierte Beuys 1969 unter dem Titel „Schlitten“ (Abb. 10). Ähnliche Objekte, diesmal mit eingerollter Filzdecke und einem aufge- pinselten rotbraunen Kreuz, integrierte der Künstler im gleichen Jahr in eine größere Installation : „Das Rudel“ (Abb. 11). Vor allem zu dieser zweiten Arbeit gibt es sehr unterschiedliche Interpretationen – keine ist eindeutig. Joseph Beuys selbst hat sich nur zur Ladung der Schlitten geäußert und Begriffe wie „Orientierung“, „Ernährung“ und „Wärme“ in den Raum gestellt. Weitere Hinweise gab er nicht. Das Publikum sollte selbst nach eigenen Assoziationen und Erklärungen suchen. Vergleiche das Multiple „Schlitten“ (Abb. 11) mit der Installation „Das Rudel“ (Abb. 10). Was das Einzel- objekt, der Schlitten und seine Ladung, bedeuten könnten, hat Joseph Beuys angedeutet. Welche Assoziationen und Gedanken löst „Das Rudel“ bei dir aus? Wir haben in den beschriebenen Aktionen Zeichen gefunden, die wir rela- tiv leicht interpretieren konnten, etwa den Koyoten, den Turbinenlärm oder den Hirtenstab („I like America“). Auch lebende Bäume, die über leb- lose Steinsäulen hinauswachsen („7.000 Eichen“), sind ein leicht lesbares Zeichen. Unsere Interpretation setzte die Kenntnis der Aktionen , in denen diese Symbole verwendet wurden, voraus. Aber nicht immer führen Asso- ziationen, die Beuys durch die Wahl seiner Materialien und Handlungen auslöst, zu einer vollständigen Erklärung (vgl. Abb. 10, 11). Was unterscheidet die künstlerischen Ausdrucksformen, die Beuys in seinen Aktionen entwickelt, von anderen aktionistischen Konzepten (vgl. Zeichen 4: Heldengeschichten)? Ist Kunst überhaupt ein geeignetes Mittel, Denkanstöße zu geben und politische und soziale Veränderungen zu erreichen? Was spricht dafür, was dagegen? Hast du selbst oder hat deine Klasse ein Anliegen, auf das eine künstlerische Aktion aufmerksam machen könnte? Wie könnte eine solche Aktion geplant und durchgeführt werden? 9  Joseph Beuys und Koyote in der Aktion „I like America and America likes me“, 1974 10  Joseph Beuys: Das Rudel, VW-Bus mit 24 Holzschlitten, jeder mit festgeschnallter Filzrolle, Taschenlampe und Fett beladen, 1969 11  Joseph Beuys: Schlitten, bepackt mit Filzdecken, Taschenlampe und Fett, 1969, Foto, 2012, Ausstellung auf Burg Moyland, Bedburg, Deutschland v.Chr. 0 500 1000 1500 heute 1974, Joseph Beuys: I like America and America likes me Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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