Zeichen 4, Schulbuch

Bestseller und neue Medien 62 Bilderräume  Auch im späten Mittelalter entstand der Großteil aller Bil- der in Europa noch im Auftrag der Kirche. Aber die Kirchenräume wurden durch die neuartigen Flügelaltäre (Wandelaltäre) zu „Bildersälen“, die den Menschen Schauerlebnisse vermittelten, die es andeswo nicht gab. In der Kirche von Tiefenbronn stehen mehrere solcher Altäre aus der Zeit der Spät gotik . Einer davon wird in diesem Kapitel vorgestellt. Es ist der berühmte „Magdalenenaltar“ (1432). Die große Abbildung auf der nächs- ten Seite zeigt dir eine Gesamtansicht. Variationen  Du siehst, dass der Altar aus mehreren Bildtafeln besteht (Abb. 3). Zusammen besetzen die Bilder eine ziemlich große Fläche: ca. 3 m hoch und 2,5 m breit. Die beiden Hälften des Mittelbildes lassen sich öffnen wie Schranktüren. Wenn du genau schaust, kannst du an den senk- rechten Trennstreifen die Scharniere erkennen. An besonderen Tagen wurden diese Türflügel aufgeklappt. ln der dahinterliegenden Nische, dem Schrein, sind plastische Figuren aufgestellt. Neue Medien  Eine der neuen Medien- erfindungen des Spätmittelalters waren Konstruktionen, die mehrere Bildtafeln oder plastische Figurengruppen zugleich tragen konnten. Durch Zu- oder Aufklappen einzelner Teile, sogenannter Flügel, konnten Bilder und Statuen in verschie- denen Kombinationen gezeigt werden. Das sorgte für Überraschungseffekte und Abwechslung und weckte die Neugier. Der „Wiener Neustädter Altar“ im Wiener Stephansdom zeigt zum Beispiel 32 gemalte Bilder und sieben Nischen mit geschnitzten und bemalten Figuren- gruppen in drei Kombinationen. An normalen Wochentagen blieben die Flügel geschlossen (Werktagsseite), an Feiertagen wurden ein oder zwei Flügelpaare geöffnet (Festtagsseiten). 2  Schema eines „Wandelaltars“ mit vier Flügeln: „Wiener Neustädter Altar“ im Stephansdom, Wien Altar ganz offen Predella 27 28 25 26 I II D B B A Altar halb geschlossen 31 32 29 30 1 5 9 13 2 6 10 14 3 7 11 15 4 8 12 16 Altar ganz geschlossen 31 32 29 30 17 19 21 23 18 20 22 24 Beschreibe so genau wie möglich, was du siehst. Was ist an den Bildern auffällig? Was könnten die einzelnen Szenen bedeuten? Untersuche auch die Rahmenleisten zwischen den Bildern. Gibt es Ungewöhnliches, das du dir nicht erklären kannst? Auf den nächsten Seiten findest du Hinweise, die dir helfen, den Sinn der einzelnen Bilder und Zeichen und deren Zusammenhang herauszufinden. Neue Medien im Spätmittelalter Die Medienwelt Europas änderte sich im späten Mittelalter dramatisch. Die Entwicklung der Drucktechnik ermöglichte die rasche Verbreitung von Texten und Bildern, die bis dahin ausschließlich mit der Hand ge- schrieben und gemalt worden waren. Farbige Bilder gab es nicht mehr nur in Büchern oder an den Wänden und den Glasfenstern der Kirchen. Bilder wurden jetzt in einer neuen Technik auf große Holztafeln gemalt. Sie wurden transportierbar, konnten frei aufgestellt werden und ihren Standort auch wechseln. Es gab immer mehr Bilder und sie wurden als Kommunikationsmittel immer wichtiger. 1  Tiefenbronn, Blick in das Mittelschiff der Pfarrkirche Nur zu Prüfzwecken – Eigentu des Verlags öbv

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