Zeichen 4, Schulbuch

56 8  Giotto di Bondone: Fresko in der Oberkirche von San Francesco, Assisi, ca. 1290–1300 Bild und Wirklichkeit  Solange Bilder fast ausschließlich im Auftrag der Kirche entstanden, gab es keinen Anlass für naturgetreue Darstellungen in der Malerei. Religiöse Inhalte vertrugen sich ohnehin schlecht mit einer Abbildung der wirklichen Welt. Der Aufstieg der Städte im Spätmittelalter änderte diese Situation. Auch Bürger gaben nun Bilder in Auftrag. Neue Themen waren gefragt und bald auch neue Formen der Bildgestaltung, die sich an der Wahrnehmung der Wirklichkeit orientierten (vgl. Zeichen 4: Krieg und Frieden). Eine neue, dafür geeignete Bildsprache musste erst noch entwickelt werden. Trecento  Im Trecento , so heißt in Italien das 14. Jahrhundert, wurden ver- schiedene Möglichkeiten der Raumdarstellung erprobt. Besonders be- rühmt für die Raumwirkung seiner Bilder war der Maler Giotto di Bondone (ca. 1266–1337) aus Florenz. Die mathematisch korrekte Technik der Per- spektive , wie Brunelleschi und spätere Kunstschaffende sie einsetzten, kannte er noch nicht. Trotzdem gelang es ihm, die räumliche Illusion seiner Bilder zu steigern, indem er bereits bekannte, ältere Methoden so aufein- ander abstimmte, dass sie eine neue, überzeugende Einheit ergaben. Die folgenden Bilder Giottos (Abb. 8, 9) zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Franz von Assisi. Sie sind so gemalt, dass die Menschen, die zu ihrer Entstehungszeit gelebt haben, die Schauplätze in ihrer eigenen Umgebung wiederfinden konnten. Die erste Szene (Abb. 8) spielt im Chor einer Kirche. Nach damaliger Sitte ist der Altarraum durch eine halbhohe Wand vom Aufenthaltsraum der Gläubigen getrennt. Links führen Stufen hinauf zu einem Ambo, einem Lesepult, von dem aus der Priester über die Trennwand hinwegblicken und zur Gemeinde sprechen konnte. Fläche und Raum  Jedes der beiden Bilder (Abb. 6, 7) zeigt einen Mann vor einem aufgeschlagenen Buch. Auf dem oberen Bild sind der Leser und das hohe Pult, auf dem das Buch liegt, neben- einander angeordnet. Der Hintergrund ist völlig flach: ein blaues Farbfeld in grüner Rahmung. Der lesende Mann hält in der rechten Hand eine Blumenschüssel. Sie ist wohl ein Hinweis auf den Inhalt des Buches. Auf dem unteren Bild ist dagegen der Raum, in dem der lesende Mann sich befindet, sichtbar gemacht. Man sieht die Wände und die Decke des Zimmers. Den vorderen Raumabschluss bildet eine Art Schreibtisch, auf dem das Buch liegt. Der Leser sitzt dahinter, im Inneren des Zimmers. Nachdenklich blickt er uns aus dem Bild entgegen. Giotto und das Trecento 6  Abt Theofrid vor dem Lesepult, Handschrift aus Echternach, um 1100 7  Tomaso di Modena: Albertus Magnus in der Studierstube, Treviso, San Niccolò, 1352 Ein Bild wie die Wirklichkeit Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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