Zeichen 4, Schulbuch

51 Säurebad  Da die Arbeit mit dem Grabstichel sehr mühsam ist, wandte man schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein Verfahren an, bei dem die Linien nicht mithilfe von Muskelkraft, sondern mithilfe einer ätzenden Säure aus dem Metall herausgegraben werden. In Anlehnung an das latei- nische Wort „radere“ (kratzen, schaben) nennt man diese Technik Radierung . Die Unterschiede zwischen den beiden Tiefdruck techniken sind offen- sichtlich: Während man den Grabstichel -Linien die Mühe und Langsam- keit ihrer Herstellung ansieht, kann man mit der Radiernadel kritzeln und schraffieren wie mit einer Feder auf Papier. K nstlerinnen und Künstlern, die auf spontanes Zeichnen großen Wert legen, liegt die Radierung des- halb viel näher. Außerdem kann man nach dem ersten Säurebad be- stimmte Stellen der Platte abdecken und die anderen Teile tiefer ätzen. Kritzeln  Einer jener Künstler, die diese Möglichkeiten mit großer Experi- mentierlust ausschöpften, war der Niederländer Rembrandt Harmensz von Rijn (1606–1669). Seine Radierung des hl. Hieronymus bietet viele Ver- gleichsmöglichkeiten mit Dürers Kupferstich: Rembrandt arbeitete sehr spontan. Meistens genügte ihm eine schnelle Skizze mit Feder und Pinsel als Entwurf für eine Radierung . Er übertrug die wichtigsten Linien seitenverkehrt auf die beschichtete Kupferplatte und zeichnete mit der Nadel gleich drauflos. Manchmal veränderte er während der Arbeit das Konzept: Obwohl er ursprünglich geplant hatte, den Heiligen im Schatten darzustellen, kehrte er in der Radierung die Hell-Dunkel-Verteilung um (Abb. 19). Hieronymus sitzt nun gemütlich in der warmen Sonne, hat sich die Pantoffel ausgezogen und ist in seine Lektüre vertieft. Von den Gehöften, der Kirche und der Brücke im Hinter- grund ist er durch Gebüsche und einem Felsabhang getrennt. Der Löwe wacht über diese Grenze. Inhaltlich gibt es zu Dürers Darstellung (Abb. 10) zwar einige Parallelen (das Sonnenlicht als Symbol göttlicher Erleuchtung, der Löwe als Abschir- mung von der Außenwelt), aber die künstlerische Gestaltung ist völlig anders: Während Dürers Stich durch Detailreichtum und gleichmäßige Präzision beeindruckt, bewundert man bei Rembrandt das lebendige Gekritzel der Radiernadel, manchmal kräftig, manchmal zart. Die Gestalt des Heiligen scheint sich fast in Licht aufzulösen. Die Verbindung mit Gott stellt Dürer als Rückzug in den Innenraum dar, Rembrandt als Hinausge- hen in die Natur. Radierung  Eine Kupfer- oder Zinkplatte wird mit einer säurefesten Schicht aus Wachs, Harz und Asphalt (Ätzgrund) überzogen und durch Anrußen über einer Flamme geschwärzt. Dann wird die Zeichnung mit einer Radiernadel in die weiche, dünne Schichte geritzt. Das kann sehr leicht und locker geschehen, weil dafür keine Kraft nötig ist. Nach dem Abdecken der Ränder und der Rückseite mit Asphaltlack legt man die Platte in ein Säurebad (Eisenchlorid- oder Salpetersäure). Nun frisst sich die Säure an den von der Radiernadel freigelegten Stellen ins Metall ein, je länger umso tiefer. Danach werden die säurefesten Abdeckungen mit einem Lösungsmittel entfernt. Die weiteren Schritte sind dieselben wie beim Kupferstich . 19  Rembrandt: Lesender Hieronymus in einer Landschaft, Feder und Pinsel, 1653 (links). Rembrandt: Hieronymus in italienischer Landschaft, Radierung und Kaltnadel, 1653 (rechts). 18  Arbeitsschritte bei der Radierung Druck Säurebad Kupferplatte Ätzgrund Radiernadel v.Chr. 0 500 1000 1500 heute Martin Luther (1483–1546) Rembrandt (1601–1669) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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