Zeichen 4, Schulbuch
19 Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts stießen diese Gedanken auch in ande- ren Ländern auf Interesse. Im Zeitalter der Aufklärung spielte die Idee von der „Entfaltung der natürlichen Möglichkeiten“ eine wichtige Rolle. Das Hineinzwängen der Natur in geometrische Formen galt bald als un- modern. Fortschrittliche Adelige beeilten sich, ihre französischen Gärten nach englischem Vorbild umzugestalten. Der Park des Schlosses Laxenburg südlich von Wien blieb zwar auch nicht unverändert erhalten, aber das Grundkonzept ist noch deutlich erkenn- bar: die unregelmäßige Anordnung von Wiesenflächen und Baumgrup- pen, die pittoreske Platzierung von Denkmälern und Tempeln und vor allem der große Teich mit der „gotischen“ Franzensburg als Ausdruck romantischer Verklärung des Mittelalters (Abb. 24). Ein Teil der ursprüng- lichen Gestaltung und Ausstattung existiert heute allerdings nicht mehr (z. B. ein „Haus der Laune“, ein „Fischerdörfchen“, eine „TürkischeMoschee“ und eine „Chinesische Brücke“). Gärten in der Stadt Das aufsteigende Bürgertum fand am Konzept des Landschaftsgartens viel Gefallen. Die Verbindung von Freiheit, Naturnähe und Erholung entsprach den bürgerlichen Wertvorstellungen. Als ab 1857 im Zuge des Wiener Ringstraßenbaus neben repräsentativen Gebäuden und Wohnvierteln auch öffentliche Grünräume geschaffen wurden, ver- wendete man dafür die Formen des englischen Gartens: Im 1861 bis 1863 angelegten Stadtpark gibt es einen Teich, gewundene Wege, eine lockere Mischung von Rasenflächen, Baum- und Strauchgruppen sowie Denkmä- ler berühmter Männer aus Kunst und Wissenschaft. In vielen österreichi- schen Städten entstanden damals ähnliche Grünanlagen. Dass die Idee des französischen Gartens aber noch nicht völlig tot war, beweist ein anderer Park an der Ringstraße: der Volksgarten. Der innere Bereich rund um den Theseustempel war schon 1820 im klassizistischen Stil angelegt worden. Als ab 1863 Erweiterungen durchgeführt wurden, erfolgten sie nicht im damals so modernen „englischen“ Stil, sondern im veralteten „französischen“: Abbildung 26 zeigt das regelmäßige, orna- mental gestaltete Blumen parterre . Vielleicht wollte man sich in der Nähe der Hofburg nicht allzu fortschrittlich geben und griff deshalb auf die vertrauten Schönheitsideale der Barock zeit zurück. Zeichnen ist ein gute Mittel, einen historischen Garten genauer kennen zu lernen: Suche dir eine Statue aus, ein Architekturdetail oder die gesamte Schauseite eines Schlosses. Dabei kannst du das Abschätzen von Größen- verhältnissen üben. Wenn du schon Erfahrungen mit der Zentralperspek- tive gemacht hast (vgl. Zeichen 4: Ein Bild wie die Wirklichkeit), dann bietet sich die geradlinige Gliederung eines barocken Gartens für die Anwendung deiner Kenntnisse an. Suche dir einen geeigneten Blickwinkel. Auch in den kleinsten Schrebergärten kann man Gestaltungen entdecken, in denen die Erinnerung an die großen Vorbilder historischer Gärten weiterlebt (Figuren, geometrische Ordnungen). Im Allgemeinen aber dominiert die malerische Abwechslung, wie sie vor fast 300 Jahren in den ersten englischen Gärten angestrebt wurde. Manches dient dem prak- tischen Nutzen, manches der Entspannung, manches der Schönheit. Sprich mit Gartenbesitzerinnen und -besitzern darüber, was ihnen an ihrem Garten wichtig ist. Notiere dir wichtige Sätze und illustriere sie durch Fotografien. Stelle Bilder und Texte zu einer Fotoreportage zusammen. 25 Wien, Stadtpark 26 Wien, Volksgarten, Erweiterung 1863–1884 27 Schrebergärten in Wien v.Chr. 0 500 1000 1500 heute ab 1780, Umgestaltung des Schlossparks in Laxenburg Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv
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