Zeichen 4, Schulbuch

Künstliche Paradiese 12 Natur oder Kunst?  Ein barocker Garten mit seinen zurechtgestutzten Hecken, kunstvoll gestalteten Blumenbeeten und schnurgeraden Kieswe- gen wirkt auf den ersten Blick eher künstlich als natürlich. Ist er nicht das genaue Gegenteil dessen, was man sonst unter „Natur“ versteht: freies Wachstum, Vielfalt, Ungezwungenheit? Begriffe verändern sich im Lauf der Zeit. Unser heutiger Naturbegriff ent- stand vor etwa 200 Jahren in der Epoche der Romantik (vgl. Zeichen 2: Im Atelier). Damals legte man Gärten an, in denen die scheinbare Unregel- mäßigkeit, oft sogar die Wildheit der freien Natur, nachgeahmt wurde. 100 Jahre davor, in der Zeit des Barock , drückte man die Beziehung zur Natur auf eine völlig andere Weise aus. Der Garten des Schlosses Bel- vedere in Wien ist dafür ein Beispiel. Kriegsende und Bauboom  Mit der Abwehr der letzten Belagerung Wiens („Türkenbelagerung“ von 1683) durch und dem Ende der Kriege gegen das Osmanische Reich begann für Österreich eine Epoche relativer Sicherheit. Die Bevölkerung Wiens musste sich nicht mehr hinter Festungsmauern verschanzen. Die zerstörten Vorstädte wurden wieder aufgebaut und die Stadt konnte sich ausbreiten. In den Bezirken vor den Stadtmauern wur- den neue Betriebe gegründet und neue Bürgerhäuser gebaut. Reiche Adelsfamilien fanden dort Platz für den Bau ihrer Sommerpaläste und Gartenanlagen. Dass Angehörige der Oberschicht neben einer prächtigen Stadtresidenz auch noch ein Schloss mit Garten in der Vorstadt besaßen, wurde zur Regel. Aufwendige Bauten betonten der Rang und den Reich- tum der Familien, die sie errichten ließen. 2  Salomon Kleiner: „Prospect Sr. Hochfürstl. Durchl. Prinzens Eugeny von Savoyen etc. Garten und dazugehörigen Gebäuden sambt anderen angränzenden Gärten und Häusser.“ (Ausschnitt) 3  Südlicher Zugang zum Oberen Belvedere mit Vorplatz und Wasserbecken Europäische Gartenkunst Was ist ein Garten? Von der freien Natur unterscheidet er sich einerseits durch seine Begrenztheit, andererseits durch die Eingriffe des Menschen. Diese sind aber nicht – wie bei landwirtschaftlich genutzten Flächen – auf rein praktische Zwecke ausgerichtet, sondern auch auf andere Be- dürfnisse. In Gärten suchenMenschen Ruhe, Erholung, geistige Anregung oder sinnvolle Tätigkeit. In der Gestaltung ihrer Gärten drücken sie auch ihre Beziehung zur Natur aus. 1  Oberes Belvedere mit Garten, erbaut 1721–1723 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=