Zeichen 1, Schulbuch

79 Wenn eine Bildergeschichte so schwer verständlich ist, dann ist sie ver- mutlich ziemlich schlecht gezeichnet! Tatsächlich trifft das in diesem Fall zu. Allerdings ist nicht der Künstler dafür verantwortlich. Wir haben Zeich- nungen des deutschen Karikaturisten Erich Ohser nachträglich verändert, um die besondere Qualität der Originalgeschichte deutlich zu machen. Wir haben in seine Bilder mit feinem Filzstift ein paar unnötige Dinge hineingezeichnet und ein paar wichtige Einzelheiten übermalt. Obwohl es sich nur um kleine Eingriffe handelt, ist die Handlung dadurch schwe- rer zu verstehen. Bildanalyse und Vergleich Wir werden nun die einzelnen Bilder ganz genau untersuchen und die von uns veränderten Zeichnungen (v. F. = ver- änderte Fassung) mit den Originalzeichnungen (o. F. = originale Fassung) vergleichen. Dabei möchten wir die Unterschiede feststellen und heraus- finden, ob die Bilder der originalen Fassung tatsächlich schneller und leichter zu verstehen sind als jene der von uns veränderten Fassung. Schließlich wollen wir noch herausfinden, woran es liegt, dass ein Bild besser und ein anderes schlechter verständlich ist. Bild 1 Beim Vergleich der beiden ersten Bilder fällt auf, dass der Einbre- cher in der o. F. seinen Revolver höher hält als in der v. F., sodass man gleich weiß, dass er in böser Absicht ins Zimmer schleicht. Er hat seine Schuhe ausgezogen. In der v. F. fällt das gar nicht auf, wohl aber in der o. F., denn durch die Streifen wird klar, dass er nur Socken anhat. Dass die beiden Personen, die vom Einbrecher aus dem Schlaf geschreckt werden, ein Vater und sein kleiner Sohn sind, weiß man eigentlich nicht. Mit Sicherheit könnte man davon nur ausgehen, wenn es zusätzliche In- formationen gibt. Man müsste entweder die Personen aus einer Vorge- schichte bereits kennen oder wissen, dass Erich Ohser auch andere „Vater und Sohn“-Geschichten gezeichnet hat. Bild 2 Die beiden Fassungen der zweiten Bilder unterscheiden sich eben- falls durch Kleinigkeiten. In der v. F. sind die Revolver des Einbrechers und des Vaters zwar zu sehen, aber man bemerkt sie kaum, weil die Linien des Kästchens und der Tür von ihnen ablenken. In der o. F. ist der Schusswech- sel dagegen klar zu erkennen. Natürlich würde man in Wirklichkeit keinen Rauch und keine Kugeln sehen, aber durch diese Übertreibungen wissen die Betrachterinnen und Betrachter sofort Bescheid. In Bildergeschichten ist Deutlichkeit wichtiger als Wirklichkeitsnähe. Bild 3 Beim dritten Bild der v. F. zieht das Gemälde an der Wand zu viel Aufmerksamkeit auf sich und lenkt deshalb nicht nur von den beiden Revolvern ab, sondern vor allem vom intelligenten Einfall des kleinen Sohnes: Er wirft einen Reißnagel auf den Boden. Während man diesen entscheidenden Vorgang in der v. F. leicht übersieht, wird in der o. F. der Blick der Betrachterin bzw. des Betrachters durch Bewegungslinien darauf hingeführt. Außerdem ist der Nagel viel größer gezeichnet, als er in Wirklichkeit wäre. Bild 4 Da in dieser Phase der Handlung der winzige Nagel so wichig ist, verwendet der Zeichner der o. F. gleich mehrere Gestaltungsmittel, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken: die Übertreibung der wahren Größe, die Vermeidung von ablenkenden Linien, die Lage in der Bildmitte und schließlich … 3 Erich Ohser (e.o.plauen): Bildergeschichte „Der Einbrecher“ (Originalfassung), 1936, Bild 1–4 (Fortsetzung Seite 80) Onlineergänzung 2pb3cy v.Chr. 0 500 1000 1500 heute Erich Ohser (e.o.plauen) (1903–1944) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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