Malle Mathematik verstehen 7, Schulbuch

249 10.7 Historisches aus den Zahlbereichen len Zahlen) die Zahlengerade lückenlos ausfüllen und kontinuierlich veränderbar sind, wenngleich er dies etwas umständlich beschreibt: „Die Zahl ist bei der Größe so etwas wie die Feuchtigkeit beim Wasser. Denn wie diese sich durch das Ganze und in jeden Teil des Wassers er- streckt, so erstreckt sich die einer Größe zugeord- nete Zahl durch die ganze Größe und in jeden Teil. Und wie einer kontinuierlichen Wassermenge ei- ne kontinuierliche Feuchtigkeit entspricht, so ent- spricht einer kontinuierlichen Größe eine konti- nuierliche Zahl.“ Negative Zahlen Über den Ursprung der negativen Zahlen weiß man fast nichts. Möglicherweise stieß man auf sie bei dem Versuch, die größere Zahl von der kleineren abzuziehen. Dafür spricht, dass die ne- gativen Zahlen bis ins 16. Jahrhundert, etwa noch bei Michael STIFEL (ca. 1487–1567), als Differen- zen natürlicher Zahlen angeschrieben wurden, zB 8 – 10, 0 – 2 usw. In Rechnungen wurden die negativen Zahlen bestenfalls als nützliche Zwi- schenglieder angesehen, aber nicht als Endresul- tate anerkannt. Die Anerkennung eines negativen Resultats fin- det sich zum ersten Mal bei LEONARDO von PISA (genannt FIBONACCI, ca. 1170–ca. 1250). In einer Aufgabe, in der nach Geldbeträgen gefragt wird, interpretierte er die positiven Lösungen als Gut- haben und die negativen Lösungen als Schulden. Nach und nach verband man mit den positiven bzw. negativen Zahlen auch andere Vorstellun- gen, die stets gewisse Gegensätzlichkeiten aus- drückten: über null – unter null; über demMeeres- spiegel – unter dem Meeresspiegel usw. Durch Abstraktion entwickelte sich daraus der Begriff des positiven bzw. negativen Vorzeichens. Im Grunde waren damals die negativen Zahlen nichts anderes als die positiven Zahlen, nur mit ei- nem anderen Vorzeichen oder einer anderen Deu- tung versehen: – 5 Gulden war dasselbe wie +5 Gulden, nur Schulden statt Guthaben; –7 Grad war dasselbe wie +7 Grad, nur unter null statt über null; – 50m war dasselbe wie + 50m, nur unter dem Meeresspiegel statt über dem Meeresspie- gel usw. Im täglichen Leben werden die negativen Zahlen noch heute vielfach so aufgefasst. Als eigenständige Zahlen wurden die negativen Zahlen nur sehr zögernd anerkannt. Ähnlich wie die irrationalen Zahlen nannte man sie zunächst „defekte“, „falsche“, „gedichte ( = gedachte)“, „fin- gierte“, „ungültige“, „verneinte“ oder schließlich „negative“ Zahlen. Der Anerkennung der negati- ven Zahlen standen vor allem zwei Schwierigkei- ten entgegen. Erstens waren die negativen Zahlen kleiner als 0, man konnte sich aber keine Zahlen vorstellen, die mit den Worten von Gottfried Wil- helm LEIBNIZ (1646 –1716) „weniger als nichts“ waren. Zweitens konnte man die Festsetzung „mi- nus mal minus ist plus“ nicht verstehen, so lange sie inhaltlich interpretiert wurde. Warum soll das Produkt von Schulden plötzlich ein Guthaben erge- ben? Der französische Romanschriftsteller STENDHAL (1783–1842) schrieb dazu: „Nach meinem Dafürhalten war in der Mathema- tik jede Heuchelei ausgeschlossen, und in meiner jugendlichen Einfalt glaubte ich, es müsste dies in allen anderen Wissenschaften, die sie, wie ich gehört hatte, anwandten, ebenso der Fall sein. Wie wurde mir zumute, als ich merkte, dass kein Mensch mir erklären konnte, wieso minus mal minus gleich plus ergibt.“ Die volle Anerkennung der negativen Zahlen ge- lang erst im späteren 19. Jahrhundert, als man sich von den inhaltlichen Interpretationen löste und Zahlen allein durch ihre Rechengesetze (Axi- ome) beschrieb. Dadurch wurde der Stevin’sche Zahlbegriff (Zahlen als Quantitäten) von einem axiomatischen Zahlbegriff abgelöst (Zahlen als durch Axiome festgelegte Objekte). LEONARDO von PISA (genannt FIBONACCI, ca. 1170 – ca. 1250) Nur zu Prüfzwecken – Eigentum de Verlags öbv

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